Beeinflussung
der Wissenschaft nicht ungewöhnlich
Von der Erdgasförderung in Norddeutschland gehe keine
Erdbeben-Gefahr aus, behauptet die zuständige Bundesanstalt. Damit widerspricht
die Behörde ihren eigenen Experten. Unabhängige Forscher werfen ihr vor, vor
allem den Interessen der Industrie zu folgen.
Die Nachricht kam der
Gasindustrie ungelegen: Die beiden Erdbeben, die
Norddeutschland im Herbst 2004 und Sommer 2005 erschüttert haben, wurden vermutlich von der Erdgas-Förderung
verursacht. Das hatte eine Studie von Forschern verschiedener
Universitäten und Institute ergeben. Die Region könnte, im Gegensatz zu
früheren Zeiten, künftig regelmäßig erzittern - wie stark, ist unklar. Gebäude
und auch die geplanten unterirdischen Atomendlager Gorleben und Konrad könnten
in Mitleidenschaft gezogen werden.
SPIEGEL ONLINE hatte
die Studie am Dienstag öffentlich gemacht - und die Entgegnung folgte prompt.
"Die Erdgasförderung in Norddeutschland ist sicher", erklärte die
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in einer
Pressemitteilung. Die Behörde widerspricht damit den Erkenntnissen ihrer
eigenen Forscher, denn an der Untersuchung waren auch zwei Experten der BGR
beteiligt. Ein seit langem schwelender Konflikt zwischen Wirtschaftsinteressen
und freier Forschung innerhalb der Bundesbehörde scheint ausgebrochen.
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Die Bebengefahr ist Fachleuten seit langem bekannt. Bei der Öl-
und Gasförderung ausgelöste Erdbeben sind nichts Neues, wiederholt gab es auch
starke Erdstöße. Die BGR jedoch will von einem Zusammenhang zwischen stärkeren
Erdbeben und der Gasförderung nichts wissen. Das Erdbeben vom Herbst 2004 - es
war das stärkste je in Norddeutschland gemessene - habe tektonische Ursachen
gehabt, erklärte die Bundesanstalt in ihrer Stellungnahme.
Die neue Studie besagt
jedoch etwas ganz anderes. Deren Autoren - sieben Fachleute der Universitäten
Hamburg und Potsdam, des Geoforschungszentrums Potsdam, des französischen Observatoire de Grenoble sowie der BGR selbst - haben die
Erschütterungswellen des Bebens ausgewertet.
Messungen in
Deutschland und Kanada
Die Forscher schreiben
in einem Artikel, der im Fachblatt "Bulletin of the
Seismological Society of America" erscheinen
soll, dass das Beben "vermutlich mit der Gasförderung zusammenhängt".
Es habe sich in fünf bis sieben Kilometer Tiefe ereignet - die Gasfelder im
Bebengebiet liegen in etwa fünf Kilometern Tiefe. Die neuen Messungen beruhen
unter anderem auf der Untersuchung der Bebenwellen,
die von Rotenburg aus die Erde durchquert haben und von einem Messgerät in
Kanada registriert wurden.
Dort trafen in kurzem
Abstand hintereinander zwei Wellen ein: Eine lief direkt von Rotenburg nach
Kanada, die andere wurde zuvor von der Erdoberfläche reflektiert. Anhand des
zeitlichen Abstands zwischen beiden Wellen konnten die Forscher - unter ihnen
Klaus Stammler und Klaus-Dieter Klinge von der BGR - die Tiefe des Bebens
ermitteln und ihr Resultat darüber hinaus mit zwei weiteren Messmethoden
bestätigen.
Die BGR hingegen
beruft sich auf eine andere Untersuchung, die ebenfalls in der Behörde
entstand. Sie hat die Auswirkungen des Bebens anhand von Umfragen in der
Bevölkerung untersucht und eine Tiefe von rund zwölf Kilometern ermittelt.
"Diese Methode ist äußerst ungenau", sagt Torsten Dahm, Seismologe an
der Universität Hamburg. Die BGR bezeichnet sie trotzdem als "allgemein
anerkanntes Auswertungsverfahren".
Maulkorb für
BGR-Experten?
Die Behörde streitet
in ihrem Statement auch jeglichen Zusammenhang zwischen der Gasförderung und
dem zweitstärksten in Norddeutschland gemessenen Erdbeben ab. Als das Beben
1977 nahe Soltau stattfand, habe es dort noch gar keine Gasförderung gegeben,
schreibt die BGR. Dokumente des niedersächsischen Landesamts für Bergbau,
Energie und Geologie besagen jedoch, dass die Gasförderung in der Gegend schon
1975 begann.
Die BGR stelle sich
mit ihren jüngsten Behauptungen gegen Deutschlands beste
Erdbebenwissenschaftler, sagt der Seismologe Helmut Aichele,
der bis zu seiner Pensionierung im Seismologischen Zentralobservatorium der BGR
in Erlangen gearbeitet hat. Aichele ist im Gegensatz
zu vielen seiner Kollegen bereit, offen zu dem Konflikt Stellung zu nehmen.
Sein langjähriger Kollege und Mitautor der neuen Studie, Klaus-Dieter Klinge,
kann das nicht - die BGR hatte ihm offenbar nach Bekanntwerden
der Studie am Dienstag zunächst jeglichen Kontakt zu den Medien untersagt.
Laut Aichele hat die BGR ihre Mitarbeiter auch früher schon
unter Druck gesetzt. Wenn die Experten Ergebnisse ermittelt hätten, die für die
Behörde heikel werden könnten, habe es "Rüffel von oben" gegeben. Die
Weisungen hätten in den letzten Jahren zugenommen. Doch das prompte
Auskunftsverbot für Klinge sei "ein besonders krasser Fall".
Latenter
Interessenkonflikt
BGR-Sprecherin Frauke
Schäfer widerspricht dieser Darstellung: "Die BGR hält keine Informationen
zurück." Sie räumt aber ein, dass in der Behörde ein Interessenkonflikt
herrscht: "Wir betreiben sowohl Regierungsberatung als auch
Grundlagenforschung und müssen uns im Zweifel auf eine Meinung festlegen."
Die Lage de BGR ist in
der Tat zwiespältig. Die Bundesanstalt betreibt Forschung im Auftrag des
Wirtschaftsministeriums und soll als dem Ministerium nachgeordnete
Behörde die Rohstoffkapazitäten erforschen - in enger Zusammenarbeit mit der
Industrie. Wiederholt stand die BGR in der Kritik, allzu optimistische Berichte
zur Entwicklung der Rohstoffversorgung und der Klimaentwicklung abgegeben zu
haben.
Anscheinend wurde die
BGR nun ihrerseits von der Gasförderindustrie unter Druck gesetzt, sagte ein
Forscher, der nicht namentlich genannt werden möchte, zu SPIEGEL ONLINE.
Industrievertreter hätten unmittelbar nach dem Bekanntwerden
der Studie über die Erdbeben in Norddeutschland angekündigt, die BGR werde eine
"Richtigstellung" veröffentlichen. "Wir sind in ständigem
Kontakt zur BGR, das ist nichts Besonderes", erklärt Hartmut Pick vom
Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) dazu.
"Beeinflussung
der Wissenschaft nicht ungewöhnlich"
Die Beeinflussung der
Wissenschaft von Außen sei durchaus nicht ungewöhnlich, meint Ulrike Beisiegel, die als Sprecherin des Ombudsmanns bei der
Deutschen Forschungsgemeinschaft Ansprechpartnerin für Wissenschaftler in
Konfliktsituationen ist. "Auch anderswo gibt es das Problem des
Weisungsdrucks." Betroffene Forscher sollten sich an die zuständigen Ombudsleute
wenden. Denn wissenschaftliche Erkenntnisse von gesellschaftlicher Relevanz
dürften aus kommerziellen Interessen nicht zurückgehalten werden.
Ob die BGR diesen
Grundsatz befolgt, bezweifeln unabhängige Wissenschaftler. "Die
Stellungnahme der BGR zu den Erdbeben ist aus wissenschaftlicher Sicht
unverständlich", sagt etwa GFZ-Forscher Kind.
Auch frühere
Mitteilungen der BGR waren auf das Misstrauen der Wissenschaftler gestoßen. So
konstatierte die Behörde bereits zwei Tage nach dem Beben im Herbst 2004, dass
es sich um ein tektonisches Beben gehandelt habe, das nicht von der
Gasförderung verursacht worden sei - obgleich kaum Daten vorlagen, die diese
Behauptung hätten stützen können. "So leichtfertig", findet Dahm,
"sollte man mit dem Thema nicht umgehen."
Spiegel online
23.03.06