Crash
Chronologie PASSIVE SICHERHEIT
Die Zahl der Unfalltoten sinkt stetig. Ein Grund dafür ist die zunehmende
passive Sicherheit: Airbags, Gurtstraffer, Gurtkraftbegrenzer und eine ausgeklügelte
Elektronik verwandeln ein Auto innerhalb von Millisekunden in eine intelligente
Sicherheitszelle.
"Es ging alles so schnell", ist wohl der häufigste Satz, den man von
Unfallzeugen hört. Wer wissen will, was bei einem Unfall im Auto alles geschieht,
muss selbst bei der Zeitlupenaufnahme eines Crashs genau hinschauen. Für Volker
Sandner gehört das zum Berufsalltag, denn er ist Versuchsleiter der
ADAC-Crashanlage in Landsberg. Von ihm haben wir uns schildern lassen, wie ein
Aufprall abläuft, wann genau welches Schutzsystem aktiviert wird und was mit
den Insassen passiert. Dabei gibt es zwar je nach Modell und Marke
Unterschiede, doch im Wesentlichen ist der Ablauf immer gleich.
|
|
15
bis 20 Millisekunden - also knapp zwei Hundertstel Sekunden - nach dem ersten
Kontakt mit einem anderen Fahrzeug oder einem Hindernis, hat die Bordelektronik
ihre entscheidende Aufgabe schon erfüllt. Drei Arbeitsschritte sind erledigt:
Zuerst hat ein sogenannter Beschleunigungssensor die Kollision registriert. Der
Sensor ist in der Regel im Fahrzeugmitteltunnel angebracht und misst - noch
bevor die Druckwelle entsteht, die über den Stoßfänger und die Längsträger auf
die Karosserie übertragen wird.
Anschließend bewertet die mit dem Sensor verbundene Elektronik, ob es sich um
eine leichte oder schwere Kollision handelt, ob also die Sicherheitssysteme
aktiviert werden müssen oder nicht. Im Fall einer schweren Kollision erfolgt
dann der dritte Schritt: Die Elektronik sendet Impulse an Airbags, Gurtstraffer
und weitere Systeme wie die Benzinpumpe, die sofort die Spritzufuhr
unterbricht, um die Feuergefahr zu reduzieren.
Bei Fahrzeugen mit automatischer Türverriegelung - vor allem Luxuslimousinen,
die auch in den USA verkauft werden wie Mercedes S-Klasse oder BMW 7er - wird
jetzt zusätzlich ein Impuls ausgesandt, der sämtliche Türen wieder entriegelt.
Bei Autos, die schon über ein automatisches Notrufsystem (eCall) verfügen, wird
eine Verbindung zur nächstliegenden Notrufzentrale aufgebaut. Und bei manchen
Fahrzeugen (zum Beispiel BMW) sprengt die Elektronik zum Schluss ihrer
Aktivität, also wenn alle Sicherheitssysteme gestartet beziehungsweise gezündet
sind, die Polkappe der Batterie ab, um Kurzschlüsse zu verhindern.
Das Fahrzeug selbst ist zu diesem Zeitpunkt, also etwa 20 Millisekunden nach
Beginn der Kollision, noch kaum in Mitleidenschaft gezogen, höchstens der
Stoßfänger ist schon leicht deformiert. Die Passagiere befinden sich noch in
ihren Sitzen, die Vorwärtsbewegung hat noch nicht begonnen.
Der große Beifahrerairbag füllt sich zuletzt
20 bis 30 Millisekunden nach dem ersten Kontakt werden die Gurtstraffer und
Airbags aktiviert - mittels Pyrotechnik: Das elektrische Signal setzt eine
Zündpille in Funktion, die dafür sorgt, dass ein Festbrennstoff abgebrannt
wird. Das entstehende Gas füllt nun die Airbags. Wegen des relativen kleinen
Treibsatzes treten die Gurtstraffer zuerst in Funktion (nach etwa 25
Millisekunden), es folgt der Fahrerairbag und als Letztes - wegen seiner Größe
- der Beifahrerairbag. Nach 30, maximal 35 Millisekunden sind die Frontinsassen
also bereits durch die wichtigsten Sicherheitssysteme geschützt. Zweistufige
Airbags treten übrigens nicht später in Aktion, sondern sie unterscheiden sich
nur dadurch, dass bei einem leichteren Aufprall nur eine Stufe gezündet wird.
Nach 35 bis 40 Millisekunden bewegen sich dann die Oberkörper der Insassen
schneller nach vorn.
Im Zeitraum um 50 Millisekunden nach dem ersten Kontakt gibt es bereits stärkere
Deformationen im Vorderwagen: Motor und Achse bewegen sich nach hinten und
schlagen je nach Fahrzeug schon mal auf die Spritzwand. Auch in der Pedalerie
kommt jetzt eventuell die Aufpralllast von vorn an, während bei den Insassen
das Becken und der Oberkörper die Beine in die Gegenrichtung schieben, was zur
stärkeren Anwinklung führt. Es kann zum ersten Kontakt von Beinen und Knien mit
Armaturenbrett und Lenksäule kommen. Und auch der Kopf landet jetzt im Airbag.
Bei 120 bis 150 Millisekunden erreicht der Oberkörper seine maximale
Vorverlagerung, zu diesem Zeitpunkt sind die Insassen also der größten
Belastung ausgesetzt. Deshalb spricht nun der Gurtkraftbegrenzer an, der zum
Zeitpunkt der höchsten Kompression den Gurt etwas löst, um Brustkorbverletzungen
zu vermeiden.
Nach 0,2 Sekunden prallt das Auto zurück
Nach 150 bis 180 Millisekunden - also nicht mal 0,2 Sekunden nach dem ersten
Kontakt - beginnt bereits der Rückprall, der sogenannte Rebound. Zunächst
trennen sich die Insassen von den Airbags, und dann beginnt auch das Fahrzeug,
das immer noch etwas elastisch ist, sich vom Unfallgegner zu trennen. Volker
Sandner: "In der letzten Phase, ab 220 bis 250 Millisekunden, fliegt das
Fahrzeug dann nur noch im Rebound frei weg." Dabei kann es passieren, dass
die Insassen noch an die Kopfstütze anschlagen. Allerdings wird die
Rückprallenergie dadurch deutlich reduziert, dass sich das Auto ebenfalls
rückwärts bewegt. Sie ist in der Regel längst nicht so hoch, wie bei einem
Heckaufprall, daher spielen aktive Kopfstützen, so Sandner, "beim
Frontalcrash eigentlich keine Rolle".
Der Seitencrash unterscheidet sich vom Frontalaufprall vor allem dadurch, dass
die Knautschzone sehr viel kleiner ist. Deshalb muss das Sicherheitssystem hier
sehr viel schneller reagieren, um die Airbags rechtzeitig auszulösen. Der
Sensor für einen Seitenaufprall befindet sich normalerweise an der B-Säule,
also etwa in der Mitte des Autos. In höheren Fahrzeugkategorien finden sich an
A- und C-Säule zusätzliche Sensoren, dadurch reagiert das System schneller,
wenn der Unfallgegner das Fahrzeug zum Beispiel weiter vorne trifft. Bereits
sieben bis zehn Millisekunden nach dem ersten Kontakt sprechen diese Sensoren
an. Noch schneller arbeiten Drucksensoren in den Türen, die inzwischen viele
Hersteller einsetzen. Dabei befindet sich der Sensor im luftdicht versiegelten
Türinnern und meldet innerhalb von nur fünf Millisekunden einen Druckanstieg -
wobei die Elektronik anschließend wieder entscheidet, ob wirklich Gefahr droht
oder nur die Tür zu fest zugeschlagen wurde.
Spiegel
online 13,12.05