1969 Anlaufstelle für Schwervergiftete gegründet

Prof. Dr. Jakob Bauer, der Chefarzt des damals größten Krankenhauses in Deutschland mit 4000 Betten, musste erstmalig eine Intensivstation für sein riesiges städtisches Krankenhaus mit 4000 Betten einrichten und betreiben. Als ich mich Jahre vorher bei Ihm vorstellte (er wohnte drei Häuser neben uns in der Kunigundenstraße in Schwabing), klagte er mir, dass keiner seiner Assistenten dazu Lust und Kenntnisse hatte, keiner konnte intubieren, Venenzugänge legen oder Notfall-Ekg befunden. Der menschenscheue und spröde Arzt kam mit mir gut ins Gespräch, da er hörte, dass in meinem Zimmer das Bild des ersten Chefs seines Hauses vor 150 Jahren hing, unseres Vorfahren Dr.Koch. Er war begeistert, als er hörte, dass ich seit 6 Jahren für meinen Vater Ekgs machte und auswertete und in der Anästhesie intubieren und Venenzugänge lernen wollte. Er bot mir die Planung und Einrichtung der Intensivstation an. Sofort sagte ich zu und begann noch vor der ärztlichen Approbation als Medizinalassistent dort.

Die Einrichtung der Intensivstation war nicht leicht. Zwar hatten Firmen teure und nutzlose Geräte dem Chef aufgeschwatzt, wie ein 24-Stunden-Speicher für zwei Ekgs, mit denen man nach einem Todesfall rückwirkend das Ekg ausdrucken lassen konnte. Hätte ich noch keinen "Dr." gehabt, wären die ersten 60 Fälle dafür geeignet gewesen. Man erkannte die Sauerstoffmangelzeichen früh.

Aber die wichtigsten Dinge wie Intubationstuben wurden von der Verwaltung abgelehnt zu kaufen. Verzweifelt kam ich aus dem Zimmer des Verwaltungsleiters Stiller nach Ablehnung meiner Bitte, da lief ich der Anästhesie-Oberschwester in die Arme. Sie bat mich, eine handvoll kaputter alter Tuben von den Stationen zu bringen.

Sie nahm diese, zog an den Aufblasschläuchen, riss sie ab und machte jeden Tubus kaputt. Dann schickte sie mich damit erneut zum Verwaltungschef. "Na also", sagte dieser. Reparaturen sind der Haushalt B und dafür haben wir immer Geld, während Neuanschaffungen der Haushalt A sind, das muss ein Jahr vorher angemeldet werden. Das war also die Schwierigkeit der "Neueinrichtung einer Intensivstation". Mit diesem und ähnlichen Tricks bekam ich in der damaligen Sparzeit alles zusammen.

Durch meinen Giftnotruf rund um die Uhr wurde die Intensivstation 16c rasch zur TOX-Schwabing, die alle schweren Vergiftungen aufnahm. Regelmäßige wöchentliche Fortbildungen für das gesamte Personal durch mich fanden so rege Teilnahme, dass sie später im Hörsaal oder in der Bibliothek durchgeführt werden mussten. Der Chef wollte dies nicht, da er seine Ruhe bis zur nahen Pensionierung haben wollte, aber er redete auch nicht dazwischen.

Unser Notarztwagen, den ich häufig als Arzt mitfuhr, wurde im weiten Umkreis zu Vergiftungen geschickt und galt bei der Feuerwehr als "TOX-NA".

In der Freizeit richtete ich ein TOX-Labor ein und am Tag nach der Fortbildung, an der ich die Eröffnung verkündete standen über 30(!) Infusionsflaschen voll Urin vor der Labortüre - meist ohne Name, nur die Station und als Frage "Gift?". Natürlich war dies sinnlos und hätte mich mindestens vier Wochen lang beschäftigt. Sofort schloss ich daraufhin wieder das Labor und lernte daraus, dass trotz einer Fortbildung über klinische Toxikologie das Verständnis der Mediziner für dieses Fach gleich Null ist - ein Umstand, der heute vierzig Jahre später  identisch herrscht. Jeder leidet unter Vergiftungen, keiner ist jedoch bereit, darüber etwas zu lernen.

Aber dies war der Anfang, wöchentlich ein Merkblatt über Vergiftungen zu schreiben, das an alle verteilt wurde.

 

 

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(Auszug aus meiner neuen Biografie)