Amalgamverfahren ist
Steinzeittechnologie
„Das
Amalgamverfahren ist eine Steinzeittechnologie“, kritisiert Philipp Mimkes vom Umweltverband Coordination
gegen Bayer-Gefahren in Düsseldorf. Seit Herbst 2007 dürfte kein Chlor mehr
auf diese Weise hergestellt werden.
Die
Chlorindustrie sieht das anders. „Es ist sehr wohl eine bewährte und optimierte
Technik mit behördlicher Genehmigung“, betont Rainer Münstedt
von Bayer MaterialScience. Er ist Standortleiter
Basischemikalien im Chempark Uerdingen und u. a.
für die Chlorchemie und Koppelprodukte zuständig.
Tatsächlich
hätten bis Oktober 2007 alle Anlagen nach dem EU-Modernisierungsgesetz, der
Richtlinie über integrierte Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung
(IVU-Richtlinie), eine Genehmigung nach dem „Stand
der Technik“ erhalten sollen. Dafür legen Fachleute regelmäßig Merkblätter zur
„besten verfügbaren Technik“ (BVT) vor.
Manche
Anlage aber entspricht nicht den BVT-Merkblättern. So
dürfen vier Chemiefirmen in Deutschland jährlich fast 700 000 t Chlor
(Cl2) an fünf Standorten nach dem veralteten Amalgamverfahren
herstellen (s. unten). Doch das „BVT-Merkblatt zur
Chloralkali-Elektrolyse“ von 2001 zählt das Verfahren, in dem neben Chlor auch
Natronlauge anfällt, nicht zum Stand der Technik. Das Merkblatt wird zurzeit
neu erstellt.
Im
Krefelder Stadtteil Uerdingen begann die Chlorgeschichte vor fast 50 Jahren.
Der damalige Regierungspräsident von Düsseldorf hatte dem Chemieunternehmen
Bayer im Juli 1962 erlaubt, im Werk Uerdingen das Gas herzustellen. 1963 betrug
die Kapazität 80 000 t. Schrittweise durfte Bayer dann mehr
produzieren.
Die
aktuelle Genehmigung stammt von 1997 und wurde 2005 erweitert. Heute darf Bayer
MaterialScience im sogenannten
Zellensaal 130 000 t Cl2 nach dem Amalgamverfahren
gewinnen sowie 110 000 t Cl2 nach dem moderneren
Membranverfahren. Der Chlorbedarf in der Industrie ist riesig – etwa, um die
Kunststoffe Polyvinylchlorid oder Polyurethan herzustellen.
„Zurzeit
haben wir 79 Amalgamzellen“, sagt Hans-Jürgen Zumkley,
Betriebsleiter Elektrolyse. Jede Zelle ist 15 m lang, 1,30 m breit
und enthält bis zu 300 l Quecksilber (das entspricht bei einer Dichte
von 13,6 g/cm³ rund 3 bis 4 t Hg). Das Metall dient als Kathode der
Elektrolyse und reagiert mit Natrium aus hochreinem Kochsalz, dem Siedesalz, zu
Natriumamalgam. Die Zellen sind leich
Doch
Quecksilber is
Die
Politik hat reagiert. Einige Beispiele: Deutschland hat 1986 den Grenzwert in
der Technischen Anleitung Luft (TA Luft) auf 1,5 g Hg/t Cl2 begrenzt.
Die Anrainerstaaten der Nordsee einigten sich 1990 darauf, alle Amalgamanlagen
aus Gründen des Umweltschutzes bis 2010 stillzulegen. „Das ist leider nich
Auch die
Industrie will sich aus dieser Technologie zurückziehen. Der europäische
Verband der Chlorhersteller (EuroChlor) hat 2001
zugesagt, dass seine Mitglieder bis 2020 auf das Amalgamverfahren zur
Chlorherstellung verzichten. Für Mimkes ist das viel
zu spät. Er klagt: „Business geht vor Umwelt- und Gesundheitsschutz.“ Dabei
stehen zwei Alternativen zur Verfügung: das Membran- und das Diaphragmaverfahren.
Der großtechnische
Einsatz von Quecksilber zur Cl2-Herstellung wird 2020 nicht beendet sein. Die Zusage
von EuroChlor gilt nicht für das Amalgamverfahren,
mit dem Chlor und Alkoholate wie Natriummethylat,
einen Katalysator für die Herstellung von Biodiesel, gewonnen werden. Hier
fehlen noch großtechnische Alternativen.
Zurück
nach Uerdingen: „Der Betrieb ist völlig legal“, stellt Peter Mandt von der Bezirksregierung Düsseldorf klar. Der
Verfahrensingenieur überwacht chemische Anlagen. BVT-Merkblätter
geben Genehmigungsbehörden zwar Orientierung, sind aber unverbindlich.
Rechtlich bindend seien nur Vorgaben der TA Luft, so Mandt.
„Halten Anlagen diese Vorgaben ein, arbeiten sie nach dem Stand der Technik.“
Altanlagen dürfen also weiter betrieben werden. Doch Betreiber haben die
Pflicht, die Emissionen zu minimieren.
Im
Zellensaal von Bayer MaterialScience wird der
Emissionsgrenzwert deutlich unterschritten, der Gehalt in der Luft liegt weit
unterhalb der maximal erlaubten Konzentration am Arbeitsplatz von
100 µg Hg/m³, betont Zumkley. Wöchentlich
wird gemessen. Die Emissionen addieren sich mittlerweile übers Jahr auf nur
noch 63 kg Hg (4,6 l). Zudem gehe aus digitalen
Bodenbelastungskarten der Stadt Krefeld hervor, dass die Bodenbelastung im
Umfeld des Werksgeländes unauffällig sei.
Dennoch:
Peter Mandt würde sich freuen, verzichteten Bayer MaterialScience wie auch andere Firmen auf Quecksilber. Er
weist auf das Vorsorgeprinzip im Bundesimmissionsschutzgesetz hin: „Ich halte
es für wichtig, auch Emissionen, die nach dem Stand der Technik zulässig sind,
aufgrund der Gefährlichkeit speziell der Substanz zu vermeiden.“ Und Bayer MaterialScience plant nach dem Geschmack des
Verfahrensingenieurs Mandt. Aus ökonomischen und
ökologischen Gründen werden die Amalgamzellen schrittweise stillgelegt.
Den ersten
Schrit
Die
Genehmigung liegt allerdings noch in der Schublade. „Es war nie der richtige
Zeitpunkt“, sagt Standortleiter Münstedt. „Es gab
sehr hohe Chlorverbräuche, sodass es bei einer
Umrüstung sehr schwierig gewesen wäre.“ Doch jetzt, wo mit der Wirtschaftskrise
die Cl2-Nachfrage leicht eingebrochen ist, sieht er die Chance für
einen Neubeginn.
„Wir
wollen hier am Standort in eine völlig neue Technologie einsteigen“, sagt Münstedt. Der Anlagenbauer Uhde wird eine Pilotanlage zur klimaschonenden Cl2-Herstellung bauen.
Die
Sauerstoffverzehrkathoden-Technologie (SVK) verbraucht im Vergleich zum
Amalgamverfahren immerhin bis zu 50% weniger Energie. Die Technik an sich ist
nicht völlig neu. An den zwei Standorten in Brunsbüttel und Schanghai betreibt
das Unternehmen bereits vergleichbare Anlagen, in denen allerdings aber andere
Ausgangsstoffe eingesetzt werden und andere Koppelprodukte entstehen.
Die
Pilotanlage in Uerdingen soll eine Kapazität von 20 000 t haben und
den Betrieb bis Juni 2011 aufnehmen. Bewährt sich die Anlage in der Praxis,
will Bayer MaterialScience die letzten 79
Amalgamzellen durch diese SKT-Technologie ersetzen.
Bewährt sich die Technik jedoch nicht, will das Unternehmen die
quecksilberhaltigen Zellen durch Standardmembrane austauschen. Der endgültige
Umbau ist beschlossene Sache. RALPH AHRENS
Amalgamverfahren
Die Chemie
nutzt das Amalgamverfahren großtechnisch entweder zur Herstellung von Chlor und
Natronlauge oder zur Produktion von Chlor und Alkoholaten.
Mit dem
erstgenannten Verfahren produzieren die Firmen Akzo
(Chemiepark Höchst und Ibbenbüren), BASF in Ludwigshafen, Bayer (Chempark Uerdingen) und Ineos in
Wilhelmshaven. Zum Teil sind Stilllegungen der Anlagen geplant, außer Bayer hat
aber kein Unternehmen einen Zeitpunkt festgelegt.
Das zweite
Verfahren wenden derzeit nur BASF und Evonik (Lülsdorf, früher Degussa) an. Beide Anlagen dürfen nach
heutigem Stand auch nach 2020 benutzt werden.
www.cbgnetwork.org/3188.html und www.cbgnetwork.de/3175.html