Amalgamurteil gegen Degussa
Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main
65 Js 17084.4/91
Frankfurt, den 31.05.1996
VERFÜGUNG
Das Ermittlungsverfahren gegen
1. Gerd Schulte,
2. Dr. Manfred Müller,
3. Prof. Dr. Klaus Dermann,
wegen Körperverletzung im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Vertrieb von Zahnfüllstoffen (insbesondere: Amalgam) wird gemäß § 153 a Strafprozeßordnung mit Zustimmung des Gerichts von der Erhebung der öffentlichen Klage vorläufig abgesehen, sofern binnen eines Monats
1. der Beschuldigte Schulte 100.000,00 DM an die Gerichtskasse
(Konto PSA Ffm, 7017-600; BLZ 500 100 60),
2. der Beschuldigte Dr. Müller 100.000,00 DM an die Gerichtskasse,
3. der Beschuldigte Prof. Dr. Dermann 50.000,00 DM an die städtische
Galerie Liebighaus in Frankfurt am Main (Konto Postbank Ffm 2 - 609;
BLZ 500 100 60) und 50.000,00 DM an den Verein der Freunde des
Museums für moderne Kunst in Frankfurt am Main (Konto Schröder,
Münchmeyer, Hengst und Co Ffm, 62 649 900, BLZ 502 200 85) zahlen.
Gründe:
Grundlage des Verfahrens sind die Strafanzeigen von circa 1500 Privatpersonen. Die Anzeigeerstatter machen geltend, durch Zahnfüllstoffe, insbesondere Amalgam, wie sie auch von der Firma Degussa hergestellt werden, in ihrer Gesundheit geschädigt worden zu sein. Bei den drei Beschuldigten handelt es sich um Mitarbeiter der Firma Degussa, die an verantwortlicher Stelle im Zahnfüllstoffbereich tätig sind. Nach den durchgeführten Ermittlungen steht fest, daß Zahnamalgam auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch generell geeignet ist, in einer relevanten Anzahl von Fällen die Gesundheit von Amalgamträgern zu schädigen (sogenannte generelle Kausalität). Zunächst ist davon auszugehen, daß die Amalgambestandteile nicht in den Plomben fixiert sind, sondern als einzelne Schwermetalle, insbesondere Quecksilber, in den Körper gelangen. Dies geschieht teilweise über den Magen - Darmbereich nach verschlucken von kontaminiertem Speichel oder über die Atmung, zumal Quecksilber aus den Plomben in die Mundluft diffundiert. Weitere Aufnahmewege sind denkbar. Ein Teil der Schwermetalle wird wieder ausgeschieden, ein anderer in bestimmten, sogenannten Zielorganen, wie vor allem Niere, Leber und Hirn, gespeichert. Das dort fixierte Quecksilber läßt sich teilweise über Gelatbildner wieder mobilisieren oder bleibt bei einer Halbwertzeit von zwanzig Jahren praktisch dort gebunden (Hirn).
Diese grundsätzlichen Fakten sind heute im wesentlichen unstreitig und zum Teil seit den 30er Jahren bekannt. Ebenso unstreitig ist, daß es sich bei Quecksilber um ein toxisches Schwermetall handelt. Im Vordergrund des medizinischen Interesses muß dabei die inhalative Aufnahme stehen, zumal Gifte, die, über die Atmung aufgenommen werden, unmittelbar, d.h. ohne zunächst einer vorläufigen Entgiftung zugeführt zu werden, ins Hirn gelangen. Die Frage, welche Mengen an Quecksilber sich aus Plomben lösen können und wie hoch der Anteil des kurzfristig wieder ausgeschiedenen, bzw. des gespeicherten Quecksilbers ist, spielt im vorliegenden Verfahren keine entscheidende Rolle, zumal nicht geklärt ist, ob es eine unbedenkliche Aufnahmemenge gibt, bzw. ob es Quecksilbermengen gib, die von niemanden mehr vertragen werden. Erwähnenswert ist allerdings in diesem Zusammenhang, daß das Quecksilber - Mundluftkonzentrationen (für die Entwicklung einer entsprechenden, leicht anwendbaren Meßmethode wurde kürzlich die baden-württembergische Schülerin Sandra Zenk im Rahmen des Wettbewerbs "Jugend forscht" ausgezeichnet), die im Schnitt bei fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen, in etwa den Pentachlorphenol-Konzentrationen entsprechen, die in mit Holzschutzmitteln behandelten Räumen gemessen werden. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens mußte nun die Frage beantwortet werden, ob die Aufnahme von Quecksilber aus Plomben grundsätzlich gefahrengeneigt ist, oder ob sie, wie dies der überwältigende Teil der Schulmedizin heute noch behauptet, auch bei ungünstigstem Ablauf völlig unbedenklich ist. Die Klärung dieser Frage - das haben die Ermittlungen gezeigt - ist auch deswegen schwierig, weil es eine toxikologische "Zauberformel" in diesem Zusammenhang nicht gibt und es sich bei den geltend gemachten Beschwerden um sogenannte Allgemeinbeschwerden handelt, welche häufig vorkommen und über unterschiedlichste Ursachen auslösbar sind. Ob eine Auswertung der toxikologischen Literatur zum Thema Amalgam die Frage der generellen Kausalität schon ausreichend beantwortet, kann dahinstehen. Allerdings bleibt festzuhalten, daß sich - wie das von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Gutachten der Universität Kiel in eindrucksvoller Weise gezeigt hat - unter den mehr als 10.000 einschlägigen Abhandlungen sich eine Vielzahl von Arbeiten befindet, die teilweise sehr konkret die Gefährlichkeit von Amalgam beschreiben bzw. vor dessen Verwendung warnen. Amalgam - soviel steht nach den Recherchen der Gutachter fest, - war zu keinem Zeitpunkt toxikologisch unbedenklich.
Im Gegenteil:
Es gab viele Belege für seine Schädlichkeit. Das ist in der allgemeinen Amalgam-Diskussion regelmäßig unerwähnt geblieben.
Der Nachweis der generellen Kausalität kann auf andere Art und Weise geführt werden:
Die Vernehmung einer Reihe von niedergelassenen praktischen Ärzten, sowie Zahnärzten, die sich schwerpunktmäßig mit Amalgampatienten befassen, hat ergeben, daß sich bei konkreter Untersuchung der möglichen Zusammenhänge bzw. bei sorgfältigem Eingehen auf entsprechend geäußerter Beschwerden bereits nach einigen Monaten in den fraglichen Praxen ein beachtliches Patientenkollektiv herausgebildet hatte, welches als möglicherweise "amalgamgeschädigt" eingestuft werden konnte. Nach wenigen Jahren verfügten die betreffenden Ärzte regelmäßig über mehr als tausend solcher Patienten. Darüber hinaus stellten die Ärzte bei ihren "Amalgampatienten" eine in der Regel typische Symptomenvielfalt mit individuell feststellbarer Ausrichtung in den psychiatrischen Bereich fest. Das heißt, in der Symptomenvielfalt konnte von Fall zu Fall ein gewisses Muster erkannt werden. Schließlich ließen sich diese Beschwerden nach Sanierung der Zähne (= Entfernung der Amalgamplomben unter Beachtung bestimmter Regeln) und Durchführung einer Schwermetall-Entgiftung (Gabe eines Gelatbildners o. ä.) ganz oder teilweise wieder beseitigen. Dabei war auffällig, daß die entsprechende Heilungsquote in sämtlichen einschlägigen Praxen etwa 80 % des Gesamtkollektives betrug.
Dies ist insbesondere deswegen bemerkenswert, weil diese Erfolge jeweils unabhängig voneinander erreicht wurden. Innerhalb der betreffenden Patientenkollektive waren folgende Besonderheiten festzustellen:
In aller Regel entwickelten sich die Beschwerden der Patienten parallel mit der Zunahme der Amalgamplomben, also schleichend. Einen plötzlichen Beschwerdebeginn bzw. Beschwerdeschub gab es regelmäßig dann, wenn in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine größere Zahl Plomben eingesetzt bzw. erneuert wurde. Eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation stellte sich oft dann ein, wenn unsachgemäß saniert wurde, das heißt beispielsweise, die Amalgamplomben ohne Legung eines Kofferdamms herausgebohrt wurden. Die Beschwerdeintensität war auch abhängig von der Qualität der gelegten Plomben, je nachdem, ob eine Unterfütterung und eine Politur vorgenommen worden waren oder nicht, das heißt, je nach Abgabemenge toxischer Quecksilberionen waren die Symptome stärker oder schwächer ausgeprägt. Keinerlei Bedeutung hatte im vorliegenden Zusammenhang das Phänomen des sogenannten Placebo-Effekts. Dieser Frage war zunächst einmal deswegen nachzugehen, weil entsprechende Zusammenhänge zum Teil auch von durchaus kompetenten Medizinern behauptet wurden und werden.
Hierzu wurden folgende Feststellungen getroffen:
Einbildungseffekte sind in der Toxikologie bzw. Medizin bekannt. Wer sich irrtümlicherweise einer Noxe ausgesetzt sieht, reagiert - vor allem unter dem Gefühl der Angst - möglicherweise mit den Beschwerden, die der betreffenden Noxe zugeschrieben werden. Entsprechendes gilt für den Fall der Beseitigung der Noxe; dann verschwinden die Beschwerden. Placeboeffekte - das war hier von entscheidender Bedeutung - haben aber immer nur eine eine zeitlich begrenzte Lebensdauer und sie treffen auch nur für einen begrenzten Personenkreis zu. Das massenhafte und dauerhafte Beschwerdevorbringen von Betroffenen innerhalb des Amalgamproblems läßt sich daher über Einbildungseffekte nicht erklären. Dazu kommt, daß man sich eine Reihe gesundheitlicher Probleme nur schwer "einbilden" kann. Das Phänomen der Schwangerschaft nach Zahnsanierung nach vorhergehendem unerfülltem Kinderwunsch zählt beispielsweise hierzu. Diese Beobachtungen sind im Übrigen von der Universitäts-Frauenklinik in Heidelberg eingehend untersucht und als Folge toxischer Einflüsse bzw. deren Beendigung verifiziert worden. Von herausragender Bedeutung im Rahmen der Ermittlungen zur generellen Kausalität bzw. zur Relevanz oder Irrelevanz von Placeboeffekten waren die bei dem sachverständigen Zeugen Dr. Neuenhausen gewonnenen Erkenntnisse. Dr. Neuenhausen hat zu Protokoll gegeben, daß er als praktizierender Zahnarzt gezielt Patienten mit Biss-Anomalien behandelt hat, weil er davon ausging, daß diese Anomalien zu Verspannungen der Rückenmuskulatur führen. Im Rahmen dieser Behandlung hat er bei den betreffenden Patienten eine Bisskorrektur vorgenommen. Da als Ursache für die Anomalien unter anderem falsch modellierte Zahnplomben in Frage kamen, wurden zunächst sämtliche Füllungen entfernt und durch unbedenkliche Provisorien ersetzt. Dieser Zustand dauerte dann regelmäßig einige Wochen an, weil zwischenzeitlich die endgültigen Zahnfüllungen gefertigt werden mußten. Aus eigenem Antrieb berichteten nun viele Patienten dem Zeugen von der Besserung ihres Gesundheitszustandes - über die Beschwerden der Muskelverspannung hinaus - nach Entfernung ihrer Plomben. Dr. Neuenhausen maß diesen Äußerungen zunächst keine Bedeutung bei, weil er von der grundsätzlichen Unbedenklichkeit sämtlicher Zahnfüllungen bzw. Zahnfüllstoffen ausging. Erst allmählich, nachdem sich entsprechende Patientenberichte gehäuft hatten, sei ihm der Verdacht gekommen, daß die Beschwerden seiner Patienten ursächlich mit den Zahnfüllstoffen zutun gehabt hätten. Daraufhin habe er sich gezielt dem Problem zugewandt und bei systematischer Untersuchung und Erfassung seiner Patienten die bereits vorgenannten auffälligen Zusammenhänge zwischen gesundheitlichen Beschwerden und Amalgamplomben (entsprechendes gelte für Palladium) festgestellt. Zuvor habe er von dem Amalgamproblem praktisch keine Kenntnis gehabt, entsprechendes gelte zudem auch für seine damaligen Patienten. Dieser Fall macht in besonderer Weise deutlich, daß das "Amalgamproblem" offensichtlich nichts mit Einbildungseffekten zu tun hat. Nach alledem steht fest: Von Amalgamplomben geht offenbar eine nicht unerhebliche Gefahr für die menschliche Gesundheit aus. Amalgam kann krank machen, das heißt, Amalgam ist generell geeignet, gesundheitliche Beschwerden bei einer relevanten Anzahl von Amalgamträgern auszulösen. Darüber hinaus findet sich unter den ca. 1500 bei den Akten befindlichen Einzelanzeigen eine ausreichende Zahl von hinreichend belegten individuellen Schadensfällen, so daß auch vom Vorliegen einer konkreten Kausalität auszugehen ist, ohne daß hier verbindliche Feststellungen im Einzelfall getroffen werden mußten. Die Amalgamhersteller trifft auch ein Verschulden. Hierzu haben die Ermittlungen folgendes ergeben: In der einschlägigen toxikologischen Literatur existieren - wie bereits zuvor schon erwähnt - von Anfang an, das heißt seit über einem halben Jahrhundert, eine Vielzahl amalgam-kritischer Stimmen.
Das Gutachten der Universität Kiel konkretisiert diesen Umstand wie folgt:
a. Bereits sehr früh war der physikalisch-chemische Wirkmechanismus der
Amalgam-Bestandteile im Körper ebenso bekannt wie die Aufnahmewege
(insbesondere: inhalativ), sowie die Tatsache der Anreicherung in
diversen Zielorganen.
b. Ebenso herrschte schon früh Klarheit darüber, daß Menschen
unterschiedlich empfindlich gegenüber Amalgam sind, das heißt, daß von
einer allgemein gültigen Dosis-Wirkungsbeziehung nicht auszugehen ist.
c. Bereits 1930 wurde der Tatbestand der hohen Dunkelziffer in
Zusammenhang mit Amalgam angesprochen, also die Tatsache, daß
wegen der verdeckten Zusammenhänge nur wenige
Amalgam-Schadensfälle bekannt werden konnten.
Dies ist deswegen relevant, weil sich auch hier die Beschuldigten auf die
nur geringe Zahl der beim Bundegesundheitsamt gemeldeten
Schadensfälle berufen.
d. Innerhalb der letzten Jahrzehnte beschreibt eine Vielzahl von
Wissenschaftlern das chronische Amalgam-Vergiftungsbild als ein buntes
Beschwerdemuster mit neurologisch-psychiatrischen Schwerpunkten. Dabei
werden auch einzelne konkrete Fälle geschildert, die sehr eindringlich die
Zusammenhänge offenlegen.
Ein Zitat aus dem Jahre 1928 von Stock (Chemisches Institut der
Technischen Hochschule Karlsruhe) soll hier wörtlich wiedergegeben
werden, weil es die Zusammenhänge auf besondere Weise erhellt und die
Parallelen zum neuzeitlichen Anzeigeverhalten deutlich macht:
"Auch ich habe von Zahnärzten eine ganze Reihe von Fällen erfahren und
einige auch selbst beobachten können, in denen die gewöhnlichen
Erscheinungen der schleichenden Quecksilbervergiftungen nach
Beseitigen von Edelamalgamfüllungen glatt verschwanden. Die Patienten
wurden Mattigkeit, Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, von denen sie früher
gequält waren, völlig los und fühlten sich - dieser Ausdruck fiel wiederholt
- wie neugeboren.
Prof. Dr. E. in Karlsruhe, Mitte der Dreißiger, gesund und frisch, ließ sich
1921 einige technisch vorzügliche Edelamalgamfüllungen legen, neben
kleineren eine große Krone. Er teilte mir Mitte Juni 1927 mit: Seit mehr
als zwei Jahren litt ich ständig an Kopfschmerzen, unbehaglichem
besonders bei raschen Bewegungen oder Treppensteigen an einem
Gefühl der Unsicherheit. Wie wiederholt durch meinen Arzt festgestellt,
waren diese Symptome auf keinerlei organische Befunde zurückzuführen
und zunächst als Neurasthenie gedeutet. Im November 1926 habe ich
mich entschlossen, sämtliche Amalgamfüllungen durch Goldfüllungen
ersetzen zu lassen. Trotz vorsichtiger Entfernung der Füllungen habe ich
an den beiden Tagen alle diese geschilderten Symptome in potenziertem
Maße empfunden. Dann hat sich das Allgemeinbefinden, Kopfschmerzen
u.s.w., allmählich gebessert, und seit etwa drei Monaten fühle ich mich
wieder ganz frisch. So ist es bis heute geblieben."
e. Aus dem Kieler Amalgamgutachten ergibt sich zudem, daß sich bereits
1955 ein maßgeblicher Mitarbeiter der Firma Degussa mit der
Amalgamproblematik beschäftigt und ganz konkret vor den Nachteilen
und Gefahren dieses Zahnwerkstoffes gewarnt hat. Auf der Grundlage
dieser Erkenntnisse unterliegt es keinem Zweifel, daß die Verantwortlichen
schon seit geraumer Zeit (eine konkrete Festlegung ist nicht erforderlich)
die Gefahren von Amalgam kannten oder zumindest hätten kennen
können. Dies begründet zumindest den Vorwurf der Fahrlässigkeit. Trotz
offenkundigem Vorliegens einer schuldhaft verwirklichten
Tatbestandsmäßigkeit war eine Anklageerhebung verzichtbar.
Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Es kann nicht übersehen werden, daß Amalgam in Bezug auf seine werkstofflichen Eigenschaften - unter Ausblendung toxikologischer Gesichtspunkte - große und attraktive Vorteile besitzt. Es ist billig, leicht zu verarbeiten, dichtet vorzüglich ab und verfügt über eine lange Haltbarkeit.Dies sind Umstände, die bei lebensnaher Betrachtung keinesfalls außer Acht gelassen werden dürfen. Zudem gab und gibt es zum Teil noch ein Ersatzstoffproblem. Das alles war beispielsweise im Falle der toxischen Holzschutzmittel anders. Die Anwendung der entsprechenden Lasuren im Wohninnenbereich war mangels Gefährdung des Holzes völlig überflüssig, die entsprechenden Mittel hätten problemlos durch giftfreie ersetzt werden können. Die Staatsanwaltschaft mußte in ihrem eigenen Interesse auch berücksichtigen, daß nach Erfahrungen mit vergleichbaren Fällen eine ntsprechende Hauptverhandlung lang dauern würde und wegen der zweifellos vorhandenen Schwierigkeit, komplexe Zusammenhänge offenzulegen, mit einem gewissen Prozeßrisiko behaftet sein würde. Von großer Bedeutung ist die Tatsache, daß sich die Firma Degussa bereit erklärt hat, mit dem Betrag von 1,2 Mio. DM ein Amalgam-Forschungsprojekt zu initiieren, das möglicherweise zentrale medizinische Fragen einer Lösung näher bringt, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung alternativer Füllstoffe. Die Amalgamproblematik wird ganz wesentlich gekennzeichnet durch eine über die Jahre hindurch verfestigte und mittlerweile offenbar unverrückbare Position der Schulmedizin. Auch heute noch hört man grundsätzlich die alten Standpunkte von der völligen Unbedenklichkeit des idealen Werkstoffes Amalgam. Naturheilkundlich orientierte Ärzte kommen gleichzeitig zu völlig anderen Ergebnissen und gewinnen auf Grund entsprechender Heilerfolge an Boden. Wenn man nun davon ausgeht, daß sicherlich auch die Schulmedizin auf dem Amalgamsektor nicht nur Untaugliches produziert, dann muß es im vorliegenden Fall entscheidend darauf ankommen, die beiden Disziplinen in einer an dem Patientenwohl orientierten Weise zu "versöhnen". Das Hochschulprojekt "Münchner Modell" bietet sich hier als ein potentiell wichtiger Adressat an. Dort betreiben alternativ orientierte Mediziner die Integration von Naturheilverfahren in Forschung und Lehre. Dabei geht es in der Tat um die Kombination und Koordination der positiven Methoden der zuvorgenannten beiden unterschiedlichen Richtungen. Die Befassung des "Münchner Modells" mit der Amalgamproblematik eröffnet konkret die Chance, in absehbarer Zeit über eine verbindliche Bewertung des Giftpotentials von Amalgam zu verfügen, welche auf Grund ihres methodischen Zustandekommens über eine breite gesellschaftliche wie fachinterne Akzeptanz verfügt. Gleiches gilt für die entsprechenden Fragen zur Diagnose und Therapie amalgambedingter Gesundheitsschäden, sowie für die Frage der Ersatzfüllstoffe. In Anbetracht der großen Zahl potentiell geschädigter Amalgamträger und des Fehlens konkreter Handlungsanleitungen für ein relativ verunsichertes Patientenkollektiv besteht für die in Auftrag gegebene Forschungsarbeit des "Münchner Modells" dringender Handlungsbedarf. Insofern kann davon ausgegangen werden, daß die Leistung der Firma Degussa - inkl. 300.000 DM an die Staatskasse bzw. an gemeinnützige Einrichtungen - geeignet ist, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. An den nunmehr ermöglichten Forschungsarbeiten und ihren Ergebnissen dürfte die Öffentlichkeit und vor allem die Betroffenen ein größeres Interesse haben als an einem möglicherweise jahrelangen Prozeß mit ungewissem Ausgang. Das Einverständnis der Firma Degussa mit der betreffenden Regelung signalisiert im übrigen ein Abgehen von einer Haltung, wie sie bei anderen Unternehmen durchaus noch üblich ist, und die sich dadurch auszeichnet, daß man ohne Rücksicht auf Geschädigte und Aspekte des Gemeinwohls allein um die Durchsetzung eigener finanzieller Interessen bemüht ist. Diese Haltung der Firma Degussa war anzuerkennen.
Abschließend soll noch auf Folgendes hingewiesen werden:
Auf der Grundlage des gegenwärtigen Wissensstandes bzgl. Amalgam ist es nach Auffassung der Staatsanwaltschaft unbedingt erforderlich, daß die Firmen, die weiterhin Amalgam herstellen und vertreiben - die Firma Degussa ist nach eigenen Angaben aus der Amalgamproduktion ausgestiegen - ihre Kunden - beispielsweise über Beipackzettel - deutlich und unmißverständlich auf die Gefährlichkeit von Amalgam hinweisen. Zahnärzte haben unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Kenntnisstandes bzgl. Amalgam in jedem Fall die Einwilligung ihrer Patienten zu der Amalgamanwendung einzuholen. Eine rechtswirksame Einwilligung setzt voraus, daß der Arzt seine Patienten vor der Behandlung umfassend und gründlich über das Amalgamrisiko aufklärt. Wer abwiegelt oder verharmlost kommt seiner Informationspflicht nicht nach und setzt sich dem Risiko rechtlicher Konsequenzen aus. Dabei wird davon ausgegangen, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor allem eine quantitative Abschätzung der Amalgamgefahr noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit möglich ist.
Sollte sich aber beispielsweise nach Beendigung der entsprechenden Untersuchungen durch das "Münchener Modell" diese Gefahr in der Tendenz, wie von der Tübinger Studie vorgezeichnet darstellen, kommt ein strafrechtliches Totalverbot für Amalgam in Frage.
Bereits heute muß dieses Verbot im Rahmen der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte festgesetzten Einschränkungen, sowie in all den Fällen, in denen Patienten bereits toxisch geschädigt oder entsprechend disponiert sind, gelten. Wer zukünftig auf entsprechend gestaltete Beipackzettel oder ausreichende Patienteninformation glaubt verzichten zu können, haftet auch strafrechtlich als Hersteller bzw. als Arzt für amalgambedingte Gesundheitsschäden seiner Kunden bzw. Patienten. Darüber hinaus steht die strafrechtliche Haftung auch der Kassen zur Diskussion, soweit diese beim gegenwärtigen Wissensstand zum Thema Amalgam eine amalgamfreie Versorgung der Patienten verhindern.
Dr. Schöndorf
Staatsanwalt