Amalgam altes gefährliches Arzneimitte
"Alte Arzneien
sind nicht unbedingt sicher und bewährt, neue
nicht immer gefährlicher" Von Professor Kay Brune
In diesen Tagen
jährt sich zum 50. Mal die Contergan-Katastrophe. Damals erwies sich ein
tierexperimentell und klinisch kaum geprüftes, beliebtes,
scheinbar
nebenwirkungsarmes Medikament als embryotoxisch. Ein neuer Wirkstoff mit
vorzüglichem therapeutischem Effekt bei Schlafstörungen provozierte, weil nicht
ausreichend überprüft, eine Katastrophe.
Eine andere alte
und bewährte Substanz wurde kürzlich einvernehmlich vom Hersteller und von der
Aufsichtsbehörde vom Mark
wurde entwickelt
und in den Handel gebracht, bevor bekannt war, dass eine Reihe von
Arzneimitteln (Antihistaminika, Psychopharmaka u.a.m.) bei genetisch prädisponierten Patienten arrhythmogen sind.
Obwohl Clobutinol weltweit als risikoarmes Hustenmittel galt, das
inzwischen patentfrei und billig auch zur rezeptfreien Verfügung stand,
brachten erst ein Zufallsbefund und die nachfolgende wissenschaftliche Analyse
diese Risiken ans
Licht.
Für jeden neuen
Wirkstoff sind rigorose Prüfungen obligat
Diese Ereignisse
lehren uns:
Manch altbewährter
Wirkstoff ist nur scheinbar harmlos! Wir glauben, ihn zu kennen und halten ihn
für sicher aber wohl nur, weil er nicht den rigorosen Prüfungen unterzogen
worden ist, die für jeden neuen Wirkstoff vorgeschrieben sind.
Wie nachlässig wir
auf diesem Gebiet sind, spiegelt sich auch in der derzeitigen Diskussion um die
Sicherheit von Paracetamol (Acetaminophen)
wider. Vieles ist über die Substanz bekannt - auch Problematisches. Manches
tritt allerdings erst jetzt, mehr oder weniger zufällig, zutage - nd wird regelmäßig ignoriert: So gilt bei passageren Schmerzen, etwa Rückenschmerzen, Paracetamol als Mittel der Wahl, obwohl es keine einzige,
modernen Qualitätskriterien genügende Studie gibt, die belegt, dass Paracetamol hier überhaupt wirksam ist. Darüber hinaus
nehmen die meisten erbraucher
an, Paracetamol sei sehr harmlos. Bereits bei
Anwendung der zugelassenen Höchstdosis von 4 g im rezeptfreien Gebrauch jedoch
belegen neue Arbeiten eine passagere, aber dennoch
deutlich messbare Leberschädigung.
Wenn intendiert
oder versehentlich die Höchstdosis von 4 g überschritten wird - was häufig
vorkommt, wenn zum Beispiel bei grippalen Infekten "gegen den
Kopfschmerz" 3 g Paracetamol genommen werden und
dann, ohne genau hinzuschauen, zur Nachtruhe noch ein medizinisches Heißgetränk
mit Paracetamol
zugeführt wird,
droht ein akuter Leberzerfall. Auch
die Annahme, bei "Rheuma" sei Paracetamol
sicher, scheint nicht zu stimmen. Werden über längere Zeit Dosen über 2 g pro
Tag eingenommen, steigt die Inzidenz der
Ulkusblutungen und Herzinfarkte an, ja, sogar Magen-Darm-Schäden nehmen zu.
Auch Paracetamol ist eben ein Zyklooxygenasehemmer.
Auch die
"gute, alte" Acetylsalicylsäure zeigt beim näheren Hinschauen Tücken.
So fehlen zum Beispiel moderne Studien bei unterschiedlichen Schmerzzuständen,
die helfen würden, die richtige Indikation und Dosierung zu definieren. Und die
besondere Eigenschaft der Acetylsalicylsäure, nämlich
die Hemmung der Blutgerinnung für mehrere Tage, sollte eigentlich ein
Ausschlusskriterium für ihren Gebrauch bei Schmerzen sein.
Hat zum Beispiel
ein Patient Acetylsalicylsäure wegen akuter Schmerzen
genommen und muss er dann etwa nach einem Unfall operiert werden, steht
besonders der Neurochirurg häufig vor dem Dilemma, nicht zu operieren und damit
schwere Folgeschäden zu verantworten oder zu operieren und mit einer
inadäquaten
Blutgerinnung zu
kämpfen, die ebenfalls zu schweren Schäden führen kann.
Würde heute der
Antrag anstehen, Paracetamol oder Acetylsalicylsäure
für die Indikation Schmerzzustände, Rheuma der Fieber zuzulassen, würde wohl
keine Behörde diesem Antrag entsprechen.
Fazit:
Was uns fehlt, sind gleiche
Sicherheitsstandards für alle Wirkstoffe, auch die alten!
Mit als Generika
erhältlichen, patentfreien Wirkstoffen kann man allerdings nicht viel Geld
verdienen, um einen Teil davon wieder in die Forschung zu stecken. Auch können
Forschungsergebnisse eines Herstellers von allen anderen (Generika-)
Produzenten verwendet werden. Dass somit die Generika-Hersteller
nicht unbedingt bereit sind, Sicherheitsforschung mit Generika zu unterstützen,
ist nachvollziehbar.
Da aber die
Öffentlichkeit von den niedrigen Preisen der Generika profitiert, obliegt es
meines Erachtens der öffentlichen Hand beziehungsweise den Kassen,
entsprechende Studien zur Definition der Indikationen und unerwünschten
Wirkungen nach
modernen Standards durchzuführen, um die Bevölkerung zu schützen und Ärzten
wissenschaftlich fundierte Entscheidungshilfen an die Hand zu geben.
Solche Studien
könnten auch helfen, vielleicht in der Tat bewährte, ältere Wirkstoffe auf dem
Markt zu halten, von dem sie heute oft verschwinden, weil ein - vielleicht
unbegründeter -
Risikoverdacht auf sie fällt und dem Stand der Wissenschaft entsprechende
Studienergebnisse fehlen. Wenn diese alten Wirkstoffe eine moderne Nachprüfung
überstehen, wäre es in der Tat möglich, von "bewährten, geprüften und
preiswerten"
Wirkstoffen zu sprechen und sie weiterhin guten Gewissens kostensparend
einzusetzen.
ZUR PERSON
Professor Kay Brune ist am
Institut für
Experimentelle und Klinische
Pharmakologie und Toxikologie der
Universität
Erlangen-Nürnberg. Sein klinisches Interesse gilt
der Pharmakotherapie von
Patienten mit Schmerz und Entzündung.
Schwerpunkte seiner
wissenschaftlichen Arbeit sind die
Erforschung von Zyklooxygenasen, Zytokinen und
anderen
Schmerzstoffen sowie die Pharmakokinetik von Schmerzmitteln.
Der Pharmakologe ist Mitglied der
Arzneimittelkommission der
Deutschen Ärzteschaft, des
Ausschusses für Rezeptfreiheit des
BfArM
und Sprecher der Kommission für Öffentlichkeitsarbeit
der Deutschen Gesellschaft
für Experimentelle und Klinische
Pharmakologie und
Toxikologie. Ärzte Zeitung, 24.04.2008