1954 Wahrheit siegt

Die letzten Diskussionen als Elfjähriger um Guardinis Leitspruch, der zu meinem wichtigsten Lebens-Leitspruch wurde, sind meine schönsten Erinnerungen an mein Idol Romano Guardini.

Nach dem Austricksen der eifersüchtigen, dicken Köchin schlich ich mich - wie so oft -   in sein Arbeitszimmer und saß neben ihm am Boden neben seinem Schreibtisch und spielte mit seinem schweren Brieföffner aus Messing.

Im ganzen Leben, in allen Staaten, in jeder Familie geht es immer um die Frage: „Was ist die Wahrheit?“.

Dafür muss man kämpfen, oft viel leiden.

Letzten Endes siegt immer die Wahrheit.

Gott ist immer auf der Seite der Wahrheitsliebenden.

Romano erklärte mir, meine Fragen hätten ihn zu mehreren Vorlesungen animiert.

Für mich wurde Romano zum Sinnbild des Lebens – bis heute. Seine 1800 Schriften wurden „meine Bibel“.

Im Gegensatz zu einem Fanatiker, der alles als „seine Wahrheit“ ansieht, sei nach Guardini die ständige seismographische Suche nach der Wahrheit eine immerwährende Lebensaufgabe. Dafür sei eine exquisite, breit gefächerte Ausbildung – Lehrbasis der Jesuiten- und eine hervorragende Berufsausbildung erforderlich.

Romano meinte, sein erstes Chemiestudium hätte ihm erst ein modernes Weltbild eröffnet. Er riet mir zum gründlichen Chemielernen. Später als Arzt müsse ich ungeheuer viel über Pharmazie wissen und dies sei nur angewandte Chemie. Er bedauerte, dass er nicht mehr etwas in Medizin dazu lernen könnte. Dies fand er auch für sich persönlich sehr wichtig. Ein guter Arzt würde die Welt viel besser verstehen als ein Pfarrer, da er sofort merkt, wo eine Krankheit das Denken trübt.

Seine Medizinkenntnisse holte er sich bei meinem Vater, den er gerne mochte.

Sofort nach jeder „Sitzung“ und noch viele Jahre danach diskutierte ich seine Gedanken und Merksätze mit meinen beiden Eltern getrennt: mit Mutter, der rationalen Kinderärztin und Vater, dem emotionalen Hausarzt, auch mit allen späteren Lehrern.

Jedoch habe ich nie mehr einen Pfarrer erlebt,  der eine solche Liebenswürdigkeit und Geistesgröße hatte wie Guardini.

Diese Diskussionen brachten mir sehr jung sehr viele Sympathien und Ansehen ein, alle hielten mich für vorgealtert, die Bösartigen für Altklug. Ich trennte die Gesprächspartner in Bedächtige und in blinde Befehlsempfänger.

Durch Guardini wurde mein Leben zur Aufgabe für Gott, die mich bis heute 2007 extrem fesselt: einerseits der Wunsch, allen an der Wahrheit teilhaben zu lassen (Giftnotruf) , andererseits das bunte Leben mit Tieren, Pflanzen und Kunst jeden Augenblick zu genießen – trotz der unermüdlichen Ermahnungen eines schmerzhaft kranken Körpers. Die Schmerzen können nie übermächtig werden, da

 „die Wahrheit siegt“.

(Auszug aus meiner neuen Biografie)