1977 Alkoholentzugsdelir durch Physostigmin verhindert
Ein 42jähriger
Sektvertreter kam zur TOX-Ambulanz mit einer Orange, in die flüssiges
Quecksilber von außen durch Erpresser gespritzt war. Davon hatte er noch nichts
gegessen, beim Gespräch fiel mir sein Verhalten auf und ich machte einen
Alkotest in der Ausatemluft, der dick positiv war und im Blut 4,2 Promille
ergab. Er war - wie immer mit dem Auto gefahren. Wir nahmen ihn auf Station
auf. Er hatte eine heiße, trockene Haut, Herzrasen, Wahnvorstellungen und war
stark erregt, ein klassisches anticholinoges Syndrom wie bei der
Atropinvergiftung. Ich spritzte eine Ampulle Physostigmin zu 2,5 mg (damaliger
Inhalt einer Ampulle) in den Muskel. Nach etwa 10 Minuten war er wie nüchtern,
alle erwähnten Anzeichen waren schlagartig verschwunden und er erzählte - so wie seine zwischenzeitlich einbestellte
Frau -, dass er schwerer chronischer Alkoholiker sei, der stets beim Absetzen
ein Delir bekam. Jetzt war auch ein Delir zu erwarten. Als dies nicht eintrat,
vermutete ich einen delirvermindernden Effekt durch Physostigmin. Wieder setzte
ich mich in die Bibliothek und fand einen Artikel eines Berliner Arztes, der in
Nordafrika das Gottesurteil-Gift "Kalabar-Bohne"
1850 den volltrunkenen Einheimischen einen Schluck zu trinken gab, worauf diese
nüchtern wurden und kein Entzugsdelir bekamen. Ein Doktorand hat im folgenden
Jahr an über 300 chronischen Alkoholikern bestätigt, dass die einmalige
Injektion von 2 mg Physostigmin zum Zeitpunkt der maximalen Intoxikation ein
Entzugsdelir sicher verhindert. Begeistert übernahmen dies nach zahlreichen
Fortbildungsveranstaltungen die Kliniken der Welt.
(Auszug aus meiner neuen Biografie)