1977 Alkohol-Todesfälle durch Physostigmin-Test verhindert Entdeckung
Viele Vorträge und
alle Bücher drehten sich um die Gegengifte bei der Vergiftungsbehandlung.
Systematisch wurden alle alten und theoretisch neue untersucht.
- Eines Tages wurde eine
30jährige gepflegte junge Frau bewusstlos aufgenommen. In ihrer Handtasche
waren leere Packungen von über 200 tricyclischen Antidepressiva. Sie lag
bewusstlos unter Büschen am Isarhochufer in der Stadt. Da sie auch schnelle
Herzrhythmusstörungen hatte und unterkühlt war, dachten wir an eine schwere
Psychopharmakavergiftung. Ich war der erste Arzt bei ihr, da die Assistenten
gerade mit einem Zwischenfall beschäftigt waren. Noch vor einer Magenspülung
spritzte ich eine Ampulle mit 2,5 mg Physostigmin i.v. In drei Minuten war sie
erwacht und erzählte, dass sie in Selbstmordabsicht zwei halbvolle Flaschen
Schnaps getrunken hätte. Die Psychopharmaka waren ihr verschrieben worden und
sie hatte sie vorher geschluckt. Da ich Selbstmördern nie glaubte, führte ich
noch eine Magenspülung durch. Im Giftnachweis fand sich im Magenspülwasser kein
Medikament, jedoch im Blut ein sehr hoher Alkoholspiegel. Später erfuhren wir,
dass sie eine schwere Alkoholikerin war, die stets beim Absetzen ein
Entzugsdelir bekam, nur diesmal nicht.
Dadurch war zufällig
entdeckt, dass Physostigmin nicht nur ein Gegengift gegen die akute
Alkoholvergiftung ist, sondern auch zum Zeitpunkt der maximalen Vergiftung auch
ein Alkoholentzugsdelir verhindert. Ein Doktorand wurde von mir beauftragt,
dies an mindestens 100 Patienten zu überprüfen. Es hat sich bestätigt.
Danach führte ich bei
Bewusstlosen den Physostigmin-Test ein, der entscheiden sollte, ob eine
Bewusstlosigkeit durch Gifte Alkohol oder Psychopharmaka bedingt war, bei denen
keine Dialyse nötig oder möglich war oder, falls er nichts brachte, sofort eine
Dialyse nötig war.
Während beim
anticholinergen Syndrom durch Psychopharmaka oder Alkohol stets schnelle
Herzrhythmusstörungen im Vordergrund standen, hatte ich einen Fall in dem eine
alte Patientin eine extreme Tachykardie mit dem Bild des sterbenden Herzens im
EKG hatte, nachdem sie einen Selbstmordversuch mit über 400 diversen
Psychopharmaka unternommen hatte. Zu einem hoffnungslosen
Zeitpunkt mit
Unterkühlung und frustranen Kammerkontraktionen, die keinen ausreichenden
Hirnkreislauf mehr ermöglichten und dem vorhandenen Nachweis durch das
TOX-Labor, dass keine Gifte vorhanden waren, die durch Dialyse zu entfernen
waren, spritzte ich trotz der damaligen Meinung, dass hier Physostigmin
verboten sei, nach Dokumentation durch Fotos, eine Ampulle i.v. Schlagartig
normalisierten sich das Ekg zu einem Sinusrhythmus und nach wenigen Minuten
erwachte die Patientin, wollte sich aufsetzen und den Tubus aus der Luftröhre
herausziehen. Etwa zweistündlich benötigte sie eine Nachinjektion des Antidots,
da sie wieder ins Koma zu fallen drohte und wieder Herzrhythmusstörungen
auftraten. Nach 24 Stunden konnte sie beschwerdefrei die Intensivstation verlassen, um sich nach
der Klinikentlassung erfolgreich das Leben zu nehmen.
Heute würde die
Bekanntheit dieses Testes manchem Jugendlichen nach einem Komasaufen den Tod
auf einer Intensivstation ersparen!
(Auszug aus meiner neuen Biografie)