Feersche Krankheit
Als Feersche
Krankheit wird ein sich vor allem aus zahlreichen Symptomen seitens des
vegetativen Nervensystems zusammensetzendes charakteristisches Krankheitsbild
des Kleinkindesalters bezeichnet.
Merkurielle
Ätiologie steht ganz im Vordergrund:
in allen Fällen ist einige Zeit zuvor wissentlich oder unwissentlich
Quecksilber verabreicht worden, gelegentlich äußerlich (in Salben oder Pudern),
weit häufiger innerlich, besonders als Kalomel in Wurmmitteln oder in
Zahnpulvern.
Nicht selten lässt
sich ein von Fieber und Lymphknotenschwellungen begleiteter mobilliformer oder
polymorpher Ausschlag etwa 7-12 Tage nach erfolgter Kalomelgabe anamnestisch
erfassen (allergische Frühreaktion, „Kalomelkrankheit“). Die zugehörige
AKRODYNIE wird als pseudoallergische Spätreaktion auf die Quecksilberzufuhr
aufgefasst. Erhöhte Hg-Ausscheidung im Harn. Ausnahmsweise hat sich bei Fällen
von kindlichem Akrodynie-Syndrom einmal eine Arsen-, Thallium- oder auch
Blei-Intoxikation nachweisen lassen. Ein lokalisatorisch wie morphologisch
einheitliches anatomisches Substrat der auch als „Encephalitis“ bzw.
„Encephalopathia vegetativa“ angesprochenen Feerschen Krankheit ließ sich nicht
finden; es wurden z.B. gewisse degenerative Veränderungen im Zwischenhirn
festgestellt.
Klinik
In der Regel werden
zunächst psychische Erscheinungen auffällig. Das Kind wird unlustig,
weinerlich, mürrisch und reizbar, schließlich ausgesprochen depressiv und
unglücklich - mit dem entsprechenden Gesichtsausdruck -, „ein ganz anderes Kind“.
Eine Hypertension
von 120-140 mm kommt hier vor, ein ebenso regelmäßiger Befund ist Tachycardie
zwischen 120 und 180, ja bis zu 200 Schlägen, auch bei völlig normaler
Temperatur.
In wenigen
Einzelfällen wurden epileptiforme Krämpfe beobachtet. Häufig ist Lichtscheu,
die zu Zukneifen der Lider und Stirnrunzeln führt. Speichel-, auch Tränenfluss
können bestehen. Hartnäckige Anorexie findet sich häufig.
Die
Polyradikulitiden, Polyneuritiden und Neuritiden des Kindesalters pflegen
infektiös, toxisch oder allergisch bedingt zu sein.
Charakteristisch
sind die langsam zunehmenden, seltener mehr akut einsetzenden, meist völlig
symmetrischen und distal beginnenden Paresen. Diese betreffen zunächst die
unteren Extremitäten (Gangverschlechterung, evtl. Ataxie, auch Steppergang), in
ausgeprägteren Fällen dann auch den Rumpf und die Arme (mit head drop bei
Adynamie der Nackenmuskulatur).
Die Reflexe werden
seitengleich schwächer bzw. erlöschen. Fast immer sind - in der Regel mäßig
ausgeprägte - meningeale Zeichen vorhanden, ferner Druck- und
Dehnungsempfindlichkeit der Nervenstämme, auch Parästhesien. Eher seltener
bestehen Gliederschmerzen und sind Sensibilitätsstörungen nachweisbar. Die
schlaffen Lähmungen gehen selten über den Grad einer schwersten Adynamie hinaus.
Auf das Vorkommen von Mischformen wurde bereits hingewiesen; so wurden
Kombinationsbilder des Akrodyniesyndroms mit einer Polyradikuloneuritis
wiederholt gesehen, und die Häufigkeit von Übergängen zur Enzephalomyelitis
steht außer Zweifel.
Gleichzeitige
Hirnnervenparesen (Facialis, Abducens, Oculomotorius u.a.) werden bei
Polyradikulitis des öfteren beobachtet.
In seltenen Fällen
verläuft die Erkrankung unter dem Bilde der akut aufsteigenden LANDRY’SCHEN
PARALYSE. Hier ist die Prognose natürlich äußerst ernst. Über eine zeitweilige,
durch Ausfall des Phrenikus usw. zustande kommende Lähmung der
Atmungsmuskulatur kann man zwar mittels eines Respirators die Kinder
hinwegbringen, und im Hinblick auf die Möglichkeit eines Stehenbleibens des
Prozesses und dann der allmählichen Rückbildung und Abheilung aller
Krankheitserscheinungen ist jegliche Therapie bis zuletzt durchzuführen.
In der Mehrzahl der
Fälle gehen die Kranken jedoch nach Ablauf einer Reihe von Tagen und unter
schwerem Befall auch der Hirnnerven (Lähmung der Kehlkopf-, Schlund-, Zungen-
und Gesichtsmuskulatur) zugrunde, oft ganz plötzlich unter dem Bilde der akuten
Atemlähmung
Quelle: Lehrbuch der Kinderheilkunde,
Feer/Joppich, G. Fischer, 1971