1955 Senf altbayerischer beliebtes Familiengeschenk 

Bei Oma sah ich, wie sie Senf machte. Als ich ihr Rezeptbuch und ihre Brennschere nach Jahren entdeckte, wuchs der Wunsch es selbst zu probieren. In unserer Drogerie in der Kaiserstrasse in Schwabing sah ich, wie jemand aus der Holzschublade Senfmehl gekauft hatte. Es war spottbillig. Ich kaufte nach:

Ein Drittel gelbes Senfmehl (ein Pfund),

ein Drittel grünes Senfmehl,

ein Drittel brauner Zucker,

fünf Nelken, drei Lorbeerblätter,

ein Liter sauer gewordener Rotwein als „Essig“.

Alles wurde 20 Minuten aufgekocht, dann mit der im Feuer glühend gemachten Brennschere zum Locken einbrennen fünfmal umgerührt. Dann wurde alles in Gläser abgefüllt und musste mindestens drei Monate stehen vor dem Verzehr.

Früher aßen die Leute dies als Brotaufstrich. Jeder Familienangehörige war glücklich, ein Glas mit Senf zu erhalten. Es war das beliebteste Geschenk, das ich je vergeben konnte. Ich kochte regelmäßig Senf. Später gab es das Senfmehl nur noch in einem Stand auf dem Münchner Viktualienmarkt. Als die Brennschere der Entrümpelung zum Opfer fiel, verzichtete ich auf sie. Diesen Senf wollte niemand, er verschimmelte ungeliebt im Keller. Erst als ich ein altes großes Stemmeisen nahm und mit dem glühenden Stab wie früher umrührte, fand der Senf wieder Verehrer. Das Aroma des angekohlten Senfmehls übte wieder seine Faszination aus. Gekaufter Hausmachersenf war zu flüssig und zu wenig bissfest, um an den eigenen Senf heran zu kommen.

Wenn meine Enkelkinder etwas größer sind, versuche ich sie mit der Faszination von selbst gekochtem Senf vertraut zu machen!

(Foto Brenneisen antikes, Senftopf zuhause)