1976 SYLVESTER SPÜLUNG bei Kleinkind

 

Sylvester fragte ich vor dem Heimgehen alle Mitarbeiter der toxikologischen Abteilung nach Problemen. Am Giftnotruf erzählte man mir, dass der 6 jährige Sohn eines Kollegen eine halbe Zigaretten gegessen hatte.

 

Man sagte ihm, er müsse nichts unternehmen. Da der Vater mir namentlich bekannt war, rief ich an und fragte nach seinem Moritz. Er sagte: „aus erzieherischen Gründen ließ ich ihn Milch trinken und erbrechen.“ Da Milch in so einem Fall strengstens verboten ist, weil es die Aufnahme von Nicotin ins Blut gefährlich fördert, ließ ich ihn eiligst mit seinem Sohn zur Aufnahme kommen. Gereizt kamen beide Eltern mit dem kleinen Moritz am Sylvesterabend in die Klinik. Draußen krachten die ersten Böller und zischten verfrühte Raketen. Bei der Untersuchung fand ich ein schwer vergiftetes Kind, blass, torkelnd mit schnellem, flachem Puls. Ich hatte den Verdacht, dass er sehr viel mehr Zigaretten geschluckt hätte.

 

Sofort führte ich eine Magenspülung durch. Eine junge Lernschwester und 2 Feuerwehrleute in Ausbildung halfen mir dabei. Es kamen unglaubliche Tabakmengen dabei zum Vorschein, vermischt mit Wienerwürstchen und Milch. Die Eltern sahen von draußen durch das Schlüsselloch zu. „Armer Moritz, wirst von Deinen Eltern nur mit Zigaretten gefüttert“, rief ich provokativ. Plötzlich wurde er blitzeblau, hatte einen Atem- und Herzstillstand. Das Intubationsbesteck für Kleinkinder hatte eine leere Batterie, die Schwester lief hinaus, ein neues zu holen, ich beatmete und machte eine Herz-Druck-Massage. Die hereingestürzten Eltern sahen ihr „totes Kind“, die Mutter schrie gellend kreischend in mein linkes Ohr, der Vater schlug mit beiden Fäusten wie ein Schnellfeuergewehr von rechts auf meinen Kopf. Dazwischen führte ich - erfolgreich - die Wiederbelebung bis zum völligen Erwachen des Kindes durch. Bei der Notarztverlegung in die Kinderklinik zur Nachsorge zischte mir der Vater, ein internistischer Oberarzt am Harlachinger Krankenhaus, ins Ohr: „ So habe ich mir eine Magenspülung bei Ihnen nicht vorgestellt.“ Mein Feuerwehrmann sagte später: „So fertig habe ich Sie noch nie gesehen.“ Hätte der Vater mit der Milchgabe keinen Kunstfehler gemacht, wäre es nie zum Herzstillstand gekommen. Hätte der Vater seine Frau nicht unterdrückt, hätte er rechtzeitig erfahren, dass Moritz nicht eine halbe Zigarette, sondern mindestens 1 ganze Zigaretten-Packung aufgegessen hatte. Wäre der Herzstillstand nicht zufällig unter intensivmedizinischen Bedingungen bei einem erfahrenen Intensivmediziner eingetreten, wäre er nicht belebbar gewesen. Der einzige Dank war ein gerettetes, gesundes Kind.

Bild dieser Magenspülung: