Über den Einfluß akuter Quecksilber-Belastung auf den DNA-Metabolismus in vitro

Von Prof. Dr. T. Till, Dr. W. Klein, Dr. F. Koscis

 

Sonderdruck aus „Biologische Medizin" Heft 4/1980, Seiten 143 bis 146

Österreichische Studiengesellschaft für Atomenergie Ges. m. b. H. Forschungszentrum Seibersdorf, Institut für Biologie Vorstand: Dr. H. Altmann

 

Zusammenfassung

Sowohl Quecksilberazetat als auch Methylquecksilberchlorid hem­men ab einer Konzentration von 10-6 M die semikonservative DNA-Syn­these und ab einer Konzentration von 10-5 M die DNA-Exzisionsrepara-tur. 10-5 M und 10-4 M Quecksilber-Konzentrationen beeinflussen das Sedimentationsverhalten der Nukleoide von in „supercoiled" Konfigura­tion vorliegender DNA deutlich.

 

Summary

Mercuryacetate and methylmercurychloride inhibite semiconserva-tive DNA synthesis and DNA repair in concentrations of 10-6 m and 10-5 m, respectively.

Mercury concentrations of 10-5 m and 10-4 m enhance Sedimenta­tion velocity of the nucleoides of supercoiled DNA.

 

Einleitung

Quecksilber ist vermutlich das stärkste metallische Gift in unserer Umwelt. Eine unmittelbare Gefährdung ergibt sich aus der Anreicherung über die biologische Nahrungskette. Dabei nimmt besonders der Anteil von Methylquecksilber zu, das aus organischen Quecksilberverbindun­gen durch Mikroorganismen oder chemischen Methylgruppenspendern entsteht (1,2, 3).

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Methylquecksilber kann Wasserstoffbrücken doppelstrangiger DNA brechen, mit der Bindung der argininreichen Histone H3 und H4 mit DNA im Chromatin interferieren und deutliche Chromosomenschäden hervorrufen (4, 5, 6, 7, 8, 9). Durch freiliegende Amalgam-Zahnfüllungen werden in der Mund­höhle zum Teil erhebliche Mengen Quecksilber lokal freigesetzt. Diese Freisetzung kann mechanisch, thermisch, elektrolytisch, aber auch mi-krobiell provoziert und gefördert sein (10, 11, 12, 13). Zusätzlich erhöht Gold in Nachbarschaft von Amalgam aufgrund des Redoxpotentials ein lokales Freiwerden des Hg's. Diese Tatsachen sind für die Lebensfähig­keit vor allem der umhegenden Zellen von Bedeutung, im weiteren aller­dings aufgrund des Speicherungsvermögens des Körpers gegenüber Schwermetallionen auch ein Problem des Gesamtorganismus. Wir haben nun versucht, über die Synthese, Reparatur und Struktur der Desoxyribo­nukleinsäure den Einfluß von Quecksilberazetat und Methylquecksilber­chlorid auf diese wichtigen Parameter der Zelle zu beobachten.

 

Material und Methoden

1. Zellmaterial

Die Milzen weißer Mäuse (Stamm Swiss) wurden in einem Potter Homogenisator von Hand aus schonend homogenisiert und mit Hanks-Medium gewaschen. Nach einer Trypanblaufärbung wurde die Zellzahl bestimmt und mit Hanks-Medium die gewünschte Zellzahl der Suspen­sion eingestellt.

2. Semikonservative DNA-Synthese

Der Zellsuspension wurden Quecksilberazetat bzw. Methylqueck­silberchlorid zugesetzt und bei 37° C vorinkubiert. Nach 30 Minuten wurden 2,5 μ Ci 3H-Thymidin (NEN, spez. Aktivität 50 Ci/mMoll) pro Milliliter Zellsuspension zugesetzt. Der Einbau der markierten DNA-Vorstufe in die DNA der Zellen bei 37° C wurde nach 120 Minuten mit eiskalter Perchlorsäure (PCS) gestoppt, das Zellsediment dreimal mit 6%iger PCS gewaschen und in PCS 30 Minuten bei 90° C hydrolysiert. Nach der Hydrolyse wurde in aliquoten Teilen des Überstandes die DNA-Menge und die Radioaktivität bestimmt (7,8). Die Auswertung er­folgte durch Errechnung der spezifischen Aktivitäten (Imp./min/μg DNA). Die spezifische Aktivität der vorbehandelten Proben wurde in prozentuelle Relation zu unbehandelten Kontrollproben gesetzt.

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3. Einbau von 3H-Thymidin in die DNA nach UV-Bestrahlung

Zur Differenzierung zwischensemikonservativer DNA-Synthese und DNA-Exzisionsreparatur wurde die Zellsuspension zusätzlich mit Hydroxyharnstoff (Endkonzentration 10-2 M) vorinkubiert. Danach wur­de durch UV-Strahlung ein gezielter Schaden an der DNA der Zellen ge­setzt (254 nm, 40 J/m2], dessen Reparatur über 90 Minuten bei 37° C durch den Einbau von 3H-Thymidin verfolgt wurde. Nach Abbruch der Reaktion durch PCS wurde weiter wie unter 2. beschrieben verfahren.

4. Nukleoidsedimentation — Gradientenzentrifugation der supercoiled Form der DNA

Die Zellsuspensionen wurden nach einer Vorinkubation mit der ent­sprechenden Hg-Verbindung mit 100 rad 60Co bestrahlt und nachher 0, 30, 60, 120 und 180 Minuten bei 37° C inkubiert, um die Reparatur des gesetzten Schadens bzw. die Wiederherstellung der „supercoiled" Form der DNA zu ermöglichen. Die durch Zentrifugation gewonnenen Zellen wurden auf einen 15—30%igen Saccharosegradienten (1,95 M NaCl, 0,001 M EDTA, 0,01 M Tris, pH 8,0) aufgebracht und in einer Mischung von 1,95 M NaCl, 0,1 M EDTA, 2mM Tris und 0,5% Triton X-100 20 Mi­nuten lysiert. Nach einer Ultrazentrifugation bei 30 000 Upm (Beckman L5 Ultrazentrifuge, SW 40 Ti Rotor) und 20° C wurde die Sedimentation der DNA durch die Messung der Extinktion bei 254 nm in einem Durch-flußphotometer manifestiert (9, 14).

5. Bindung von Methylquecksilberchlorid (Hg 203) an die DNA bzw. an das Protein

5.1. Die Zellsuspension wurde mit Methylquecksilberchlorid 60 Mi­nuten vorinkubiert. Danach wurde die Zellsuspension dreimal mit Hanks-Medium gewaschen und wie unter 4. beschrieben weiter verfah­ren. Die DNA-Peaks wurden gesammelt, DNA-Gehalt und Radioaktivi­tät bestimmt und das pro μg DNA gebundene Hg gemessen.

5.2. Die Milzzellen wurden 60 Minuten bei 37° C mit Methylqueck­silberchlorid (Hg 203) inkubiert und nachher dreimal mit Hanks-Me­dium gewaschen. Die weitere Aufarbeitung wurde folgendermaßen durchgeführt:

A. Es wurde mit PCS (Endkonzentration 6%) gefällt, das Sediment dreimal mit PCS gewaschen und dann bei 90° C 30 Minuten hydrolysiert.

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Im Überstand wurde die DNA-Menge und die Radioaktivität, im Rück­stand die Protein-Menge und die Radioaktivität bestimmt.

B. Die Zellen wurden 20 Minuten lysiert (Lysismischung: 0,1 M EDTA, 0,01 M Tris, 0,5% Triton X-100, pH 8,0), das Rohchromatin mit PCS gefällt und weiter wie unter A. beschrieben verfahren (15).

C. Die Zellen wurden wie unter B. beschrieben lysiert. Dann wurde über Nacht mit 0,4 n Schwefelsäure extrahiert (Histone) und im Rück­stand der DNA-Gehalt und die Radioaktivität gemessen. Im Überstand wurde mit Äthanol gefällt und der Protein-Gehalt und die Radioaktivität bestimmt (16).

 

Ergebnisse

Die semikonservative DNA-Synthese wird sowohl durch Quecksil­berazetat als auch durch Methylquecksilberchlorid

ab einer Konzentra­tion von 10-6 M signifikant unterdrückt (Tab. 1).

Tab. 1: Semikonservative DNA-Synthese der Milzzellen in Gegenwart unterschiedlicher Konzentrationen von Quecksilber, Kontrolle = 100%. signifikant nach dem t-Test bei einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 0,05 = 5%.

 

M

Azetat

Methyl

10-8

106

95

10-7

110

96

10-6

64*

82*

10-5

4*

44*

10-4

3*

3*

10-3

4*

1*

 

Die DNA-Exzisionsreparatur nach UV-Bestrahlung wird durch beide Quecksilberverbindungen ab einer Konzentration von 10-5 M signifikant gehemmt (Tab. 2).

Tab. 2: Einbau von 3H-Thymidin in die DNA der Milzzellen in Gegen­wart von Quecksilber nach UV-Bestrahlung. Kontrolle = 100%. * signifi­kant nach dem t-Test bei einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 0,05 = 5%.

 

M

Azetat

Methyl

10-7

105

107

10-6

107

109

10-5

3*

28*

10-4

2*

12*

S.3

 

Bei den Ultrazentrifugationen der supercoiled Form der DNA nach Gamma-Bestrahlung zeigt sich eine durch die Quecksilberverbindungen bei einer Konzentration von 10-4 M eine erheblich erhöhte Sedimentat­ionsgeschwindigkeit der Nukleoide im Saccharosegradienten. Dieser Ef­fekt kann über die Gesamtdauer des Versuchs beobachtet werden (Tab. 3).

Tab. 3: Sedimentationsverhalten der Nukleoide im Saccharosegra­dienten nach Quecksilbervorbehandlung und Co-60 Bestrahlung. Die Se­dimentation wird im Verhältnis zu unbehandelten Kontrollen ausge­drückt. Ratio der Kontrolle = 1,00.

Azetat Methyl

 

 

10-5

L0-4

10-5

10-4

K

0,54

1,90

0,63

6,67

0'

0,40

2,38

0,38

6,67

30'

1,00

11,00

0,88

21,00

60'

1,45

22,00

1,04

3,38

120'

1,09

30,00

1,09

2,78

180'

0,98

1,22

1,13

2,13

 

Die zwar vorbehandelten, aber nicht bestrahlten Milzzellen zeigten ein Sedimentationsverhalten ihrer DNA, das sowohl bei einer Methyl­quecksilberkonzentration von 10-4 als auch teilweise bei 10-5 stark von der Kontrolle abweicht (Tab. 4).

Tab. 4: Sedimentationsverhalten der Nukleoide im Saccharosegradienten nach Methylquecksilbervorbehandlung. Das Verhältnis der Sedimenta­tion zu unbehandelten Kontrollen wird ausgedrückt. Ratio der Kontrol­len = 1,00.

 

 

10-4 M

10-5 M

K

6,67

0,63

30'

8,40

2,33

60'

9,50

1,50

120'

6,00

1,27

180'

4,71

1,10

 

Die über die Nukleoidsedimentation ermittelte Bindung von Me­thylquecksilberchlorid (Hg 203) an die DNA der Milzzellen zeigte ein

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Ansteigen der Radioaktivität innerhalb einer Inkubationszeit von 300 Minuten bei 37° C. Während dieser Anstieg nach 120 Minuten gegenüber dem Beginn (60 Minuten Vorinkubation) relativ gering war, ergab sich nachher ein sprunghaftes Ansteigen der Methylquecksilberbindung (Hg 203) an die DNA (Tab. 5).

Tab. 5: Über die Nukleoidsedimcntation ermittelte Radioaktivität des DNA-Peaks bedingt durch die Bindung von Methylquecksilberchlorid (Hg 203) bezogen auf μg DNA.

 

Zeit (min)

Impulse/min/μg/DNA

0

190,6

30

 247,1

60

 249,4

120

 269,7

180

 558,0

300

 801,6

 

Die versuchte Differenzierung der Bindung von Methylquecksilber­chlorid (Hg 203) an die DNA bzw. Protein ergab ein deutliches Überge­wicht der Quecksilber-Bindung an Protein, das um so größer wird, je ge­reinigter die DNA vorliegt (Tab. 6).

Tab. 6: Verteilung der Methylquecksilberchloridbindung (Hg 203) auf DNA bzw. Protein und das Verhältnis der gebundenen Menge zwischen DNA bzw. Protein nach den Aufarbeitungskriterien von 5.2. der Metho­dik.

 

Aufarbeitung

Imp./min./μg/DNA

Imp./min./μg/Protein

5.2. A

1 107,6

10191,0     1:9

5.2. B

   535,5

 6 394,5     1:12

5.2. C

   168,9

 2 763,0    1 : 16

 

Diskussion

Es ist bekannt, daß Methylquecksilber mit der DNA einen Komplex bildet, wodurch es zu einer deutlich gesteigerten Sedimentationsge­schwindigkeit kommt (17, 18). Unsere Untersuchungen haben gezeigt,

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daß bei der Nukleoidsedimentation im Saccharosegradienten nach Gam-ma-Bestrahlung der DNA von Milzzellen 10-4 M Methylquecksilber­chlorid bzw. 10-4 M Quecksilberazetat einen ganz erheblichen Anstieg der Sedimentationsgeschwindigkeit mit sich bringt. Dabei ergibt sich bei Quecksilberazetat nach 180 Minuten bei 37° C und 100 rad Gamma-Be-strahlung der Zellen plötzlich eine verminderte Sedimentation, die etwa jener der Kontroll-DNA entspricht. Dies würde gegenüber der vorher ge­messenen Übersedimentierung auf eine „Reparatur" der Schaden in der DNA hinweisen, scheint aber eher mit einer β-Elimination von an Pu-rinbasen gebundenen Hg-Ionen im Einklang zu stehen. Durch diese rein physikalische Reaktion entstehen allerdings Strangbrüche in der DNA, die über einen Verlust an „supercoils" zu einer geringeren Sedimentation im Saccharosegradienten führen.

Bei Einsatz von Methylquecksilber kommt es scheinbar aufgrund der großen Masse und geringen spezifischen Volumen des Methylqueck­silberkations zu einer noch rascheren Steigerung der Sedimentationsge­schwindigkeit. Das bereits nach 60 Minuten bei 37° C und Gamma-Be­strahlung der Zellen beobachtbare Absinken der Sedimentationsge­schwindigkeit kann an der Sättigung der Bindungsstellen nach 30 Minu­ten liegen. Wahrscheinlicher ist aber das Einsetzen der Wirkung der DNA-Reparaturenzyme, da die ebenfalls durch Methylquecksilber verur­sachte Methylierung der DNA Reparaturenzyme induziert, die diesen Schaden an der DNA im Verlauf der DNA-Exzisionsreparatur zu elimi­nieren trachten. Auch hier ist allerdings in der überprüften Zeit keine Annäherung an die Kontrollen gegeben, d.h. eine ausreichende Reparatur des Schadens in Relation zur Kontrolle findet nicht statt. Es werden aller­dings sowohl die gezielt an der DNA der MilzzelIen gesetzten Schäden der Gamma-Bestrahlung in Gegenwart von 10-4 M Quecksilber, als auch die während der Vorinkubation durch die Quecksilberverbindungen be­wirkten Schäden an der DNA der Zellen in der vorgegebenen Zeit nicht repariert.

Die Bindung von Methylquecksilber an die DNA nimmt, gemessen nach einer Vorinkubation der Zellen mit Methylquecksilbcrchlorid über die Nukleoidsedimentation, nach 120 Minuten bei 37° C sprunghaft zu. Dies könnte in einer Denaturierung der DNA und darauffolgender Kom­plexbildung von DNA mit dem Methylquecksilberkation seinen Grund haben. Die Affinität zur Bindung des Quecksilbers ist gegenüber Protein wesentlich größer als gegenüber DNA. Daraus erklärbar dürfte auch die schon bei 10-5 M Quecksilber nachgewiesene Hemmung des Einbaus des

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DNA-Vorstufe Thymidin im Verlauf der DNA-Exzisionsreparatur sein. Quecksilberionen binden an die SH-Gruppen der DNA-Polymerase β, die für die Neusynthetisierung des fehlerhaften Strangteiles verantwort­lich ist, und blockieren damit die DNA-Exzisionsreparatur. Außerdem ist die DNA-Polymerase ß ein Zn abhängiges Enzym. Ein Verdrängen des Zinks zugunsten von Quecksilber würde ebenfalls die Enzymaktivi­tät hemmen. Gleiches gilt sicher für die DNA-Polymerase α, die bei der semikonservativen DNA-Synthese beteiligt ist, und erklärt die signifi­kante Hemmung der DNA-Synthese.

Abschließend kann gesagt werden, daß die hier untersuchten Queck­silberverbindungen den DNA-Metabolismus von Milzzellen zum Teil schon ab einer Konzentration von 10-6 M signifikant beinflussen und über eine Blockierung der DNA-Reparaturvorgänge (10-5 M bis 10-4 M) die Integrität des genetischen Materials der Zellen in Frage stellen.

 

Literatur

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(11) Till, T., Zahnärztl. Welt 22, 1076 (1978). |12) Till, T., Wagner, G., ZWR 19, 945 (1973).

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(14) Cock, P. R., Brazell, I. A., J. Cell Sci. 19, 261 (1975).

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