1950 Kind als Ebenbild Gottes nach Romano Guardini

 

Unser Nachbar auf dem  2. Stockwerk  in der  Kunigundenstr. 51 in München Schwabing war der bekannte katholische Religionsphilosoph  Prof. Romano Guardini , ein Jesuit.

Kurz nach seinem Einzug als unser Nachbar begegnete er meiner weinenden Mutter auf der Treppe nach dem Konsil des Chefs der mit  2000 Kinderbetten  größten Kinderklinik der Welt, Professor Husler, der meinen baldigen Tod vorausgesagt hatte und er ging an mein Krankenbett. Ich erzählte ihm von dem Professor, bei dem ich mich schlafend gestellt hatte. Daraufhin meinte er, dass Ärzte es besonders schwer hätten, die Wahrheit für ihr Tun zu finden. Auf seine persönliche Intervention hin, brachte Prof. Husler die erste  Penicillinspritze, die mich dann gesund machte.

Ganz früh sagte Guardini zu mir, „ ich sei als Kind ein Ebenbild Gottes “. Das tröstete mich sehr, denn als Kleinkind war ich – wie alle Kinder in der Großstadt - spindeldürr und nach meiner schweren Krankheit das fetteste Kind der Klasse. Aber, wenn Gott auch so aussieht, dann war es mir egal.

Wenn ich damals nicht so dumm gewesen wäre und den Ernst der Lage erkannt hätte, hätte ich diese sehr schwere Erkrankung wohl nicht überlebt.

Damals sah ich erschreckend aus, leichenblass mit luftballonartig aufgetriebenen Gelenken und einer Unfähigkeit, mich zu bewegen. Aber ohne dieses Elend und das Todesurteil des Kinderarzt Professors hätte Romano Guardini sich sicher nie mit mir unterhalten:  Glück im Unglück.

Ich sagte ihm einmal: „ Sie sind mein Papst “, da ich von Mutter hörte, er sei ein hoher Kirchenfürst. Romano weinte daraufhin leise und sah mich glücklich an. Seither wusste ich, wie zart alte Männer sein können. Später erfuhr ich, dass er Probleme mit dem Papst hatte, nie mit Leuten im Haus oder der Strasse gesprochen hat und ich der einzige war, der in seine Arbeitszimmer gehen durfte. Ich verstand ihn kaum, da er extrem leise sprach und hoch geistig war. Damals wollte ich auch Philosoph werden. Ich fragte ihn ständig, was Philosophen tun. Einmal ging ich mit Mutter am Sonntag zu seiner Predigt in der Ludwigskirche. Er sprach so leise, dass ihn niemand verstand. Dies sagte ich ihm dann. Daraufhin soll er einige Male lauter gepredigt haben.

Er war ein liebenswürdiger, leutescheuer, kleiner Mann. Seine zwei Haushälterinnen hatten nach dem Krieg die Aufgabe, jedem Bettler eine heiße Suppe, ein großes Stück Brot und eine Mark zu schenken.

Als Kind beobachtete ich durch das Guckloch unserer gegenüber liegenden Wohnung, wie die Armen durch ein Runenzeichen an der Türklingel nur an dessen Türe läuteten und nicht an den acht anderen im Haus. Alle bedankten sich sehr höflich für die „ großherzige Spende “, jedoch warfen sehr viele das Brot in den Müll und kippten die Suppe aus dem Stiegenhausfenster, um nur mit dem Geld weiterzugehen. Verstehen konnte ich das nicht, denn alle litten damals sehr unter dem Hunger.

Als Guardini auszog, mieteten meine Eltern auch seine Wohnung und ich bezog Guardinis Arbeitszimmer. Meinen Schreibtisch stellte ich dort auf, wo seiner stand. Der Blick aus dem Fenster in die Abendsonne nach Westen erinnerte mich an die  Spitzweg-Bilder. Sehr beeindruckt war ich vorher von seiner riesigen Bibliothek in der Garage, die wir auch bezogen. Seither habe ich meine Bücher auch in meiner Garage.

Seine Predigten beeindruckten mich sehr, da er zwar leise aber sehr tiefsinnig über die Schwierigkeiten sprach, die elementaren Lebensweisheiten den Menschen zu vermitteln. Er kam mir vor wie Albert Einstein der Seele. Unbedingt wollte ich seinen Wissensstand über die Psyche des Menschen erreichen und wie er Vorträge halten und Bücher schreiben. Daraufhin legte ich mir den Grundstock zu einer naturwissenschaftlichen Bibliothek, las alle seine Bücher.

Er lehrte mich, dass es außer unseren herrischen und strafsüchtigen Religionslehrern in derselben Kirche Leute gab, die mit Grips und guten Gedanken die Seele in die richtige Bahn lenken konnten. Er war für mich der beste Psychotherapeut, den es je gab. Beichte verstand er als Psychoanalyse. Meist betete er als ich ihn besuchte. Das Gebet verstand er als Eigenanamnese und Fahrplan für die Zukunft. Gott war sein fiktiver Psychoanalyst. Er lebte wie Jesus und wollte als  „ Handwerker der Seele “ Jedermann seine Hilfestellung anbieten. Statt der damals üblichen Strafen in der katholischen Kirche wie ewig im Fegefeuer schmachten, glaubte er an die Kraft der positiven Worte, hatte für jeden Tag einen aufmunternden Spruch. So erzählte ich ihm, dass unser Stadtpfarrer meinte, es sei eine   „ Todsünde “, wenn kranke Kinder nach Mitternacht etwas essen würden und nicht nüchtern gegen Mittag in der nach Weihrauch stinkenden Kirche die Kommunion empfangen würden. Wenn sie bei Übelkeit erbrechen würden, würde „der Leib Christ“ auf den Boden fallen. Er riet, zum „heimlichen Essen“ und meinte, Pfarrer könnten sich oft nicht mit Krankheiten befassen. Dafür gäbe es Ärzte, die oft die Funktion des Pfarrers ergänzen müssten. So meinte er später, mein Vater sei für ihn ein Vorbild, da er als Arzt besonders fürsorglich mit sozialen Problemen umgeht und sich weniger mit Medikamenten befasst. Arzt sein erklärte er als Helfer in allen Lebenslagen “, Pfarrer als „ Wegweiser für eine gesunde Seele “.

Als Geschenk für seine große Hilfe an mich, führte ich schon in der Schule und dann lebenslang eine kostenlose Giftinformation rund um die Uhr durch – immer mit dem Gedanken an Romano Guardini.

Eingerahmt hängt in meinem Zimmer sein lieber Abschiedsbrief vom  02.08.1954, als er in die  Merzstr. 2  umzog und ich in sein Zimmer einzog.

Sein mir gewidmeter Spruch hing stets an meinem Schreibtisch :

   „ DIE  WAHRHEIT  DES  DENKENS  besteht darin,

   einen Gedanken nach seiner ganzen Tiefe,

   Höhe und Breite durchzuführen

   und vor keiner Konsequenz zurückzuscheuen.

   DIE  WAHHEIT  DES  TUNS  ist anders.

   Sie besteht darin, die schmale Stelle

   der Möglichkeit zu suchen und die eigene Kraft

   in das rechte Maß zu bescheiden, wissend, dass

   der vollzogene Ansatz durch die innere Logik des

   Lebens selber weitergeführt wird.“ ( Romano Guardini )

 

Herzliches Dankeschön meinem hochverehrten Vorbild und erstem Lebensretter!

 

Ein Porträt von Romano Guardini 7.2.2008 = http://video.google.de/videoplay?docid=-8226042561761025952