Kardiologen sanieren die Zähne und damit das Herz

 

Krankes Herz

Ein vernachlässigtes Gebiss kann viele ernste Erkrankungen auslösen – Herzinfarkt, Schlaganfall oder Rheuma können die Folgen sein

 

SCHWERE FOLGEN: Hans-Georg Ibold (68) war schwer krank, hatte eine Herzklappenentzündung, bekam eine neue Klappe. Schuld waren seine Zähne.

 

Seit 40 Jahren war er nicht im Krankenhaus, fühlte sich topfit, war im Alltag aktiv, doch das änderte sich sehr plötzlich: Hans-Georg Ibolds (68) Herz wurde beinahe zerstört – ausgelöst durch kranke Zähne.

„Ich fühlte mich geschwächt, meine Bewegungen waren verlangsamt, ich hatte dann auch noch Probleme mit meinem Gedächtnis“, sagt der 68Jährige.

„Er hatte eine schwere Entzündung an seiner Herzklappe. Das sieht man leider nicht selten, wenn bedeutende Erkrankungen der Zähne vorliegen“, erklärt Professor Hartmut Gülker (59), Direktor der Kardiologie am Helios- Herzzentrum in Wuppertal. Die „Fernwirkung“ von Zahnproblemen ist jedoch kaum einem Menschen bewusst. „Im Bereich der Zahnwurzel sammeln sich massiv Bakterien an. Sie werden über die Gefäße in die Blutbahn ausgeschwemmt, setzen sich auf vorgeschädigte Herzklappen und schränken deren Funktion ein“, so Gülker. Hans-Georg Ibold brauchte dringend eine neue Herzklappe.

Vor der großen Herz -OP war eine Zahnoperation nötig, um den Entzündungsherd zu entfernen. „Es war eine schwere Zeit, heute bin ich aber dankbar, dass alles so gut ausgegangen ist“, so Ibold.

Entzündungen an den Zähnen können zahlreiche Gesundheitsprobleme auslösen: Rückenschmerzen, Ohrenprobleme, Hautekzeme, Herzbeschwerden – wer kommt hier auf die Idee, zum Zahnarzt zu gehen?

„Oft liegt die Ursache für schwere Krankheiten in den Zähnen. Der Grund ist meist eine Parodontitis“, bestätigt Professor Andrej M. Kielbassa (41) von der Berliner Charité, Campus Benjamin Franklin. Jeder Zahn ist über Blutgefäße mit dem Rest des Körpers verbunden, zum Beispiel auch mit den Herzklappen. So können die Zähne im Körper großen Schaden anrichten, auch wenn sie selbst kaum Beschwerden machen.

Auch Georg Ibold war überrascht. „Ich habe meine Zähne zweimal täglich geputzt. Vielleicht war ich nicht oft genug beim Zahnarzt“, sagt er.

„Bei der Entzündung des Zahnhalteapparats können Bakterien in die Blutbahn einbrechen, in den Körper ausschwemmen und sich an vielen Stellen festsetzen“, erklärt Professor Kielbassa. „Hierzu zählen auch die Gefäßwände. Patienten mit Parodontitis haben nicht nur ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt, sondern auch für Schlagabfall oder Rheuma. Auch die Gefahr für eine Frühgeburt ist erhöht.“

Erste Parodontitis-Zeichen: gerötetes Zahnfleisch, Zahnfleischbluten, Schmerzen, Mundgeruch, freie Zahnhälse.

Auch Karies (das unangenehme deutsche Wort dafür heißt Zahnfäule) kann im Körper Schaden anrichten. „Fast jeder Mensch ist  in seinem Leben einmal davon betroffen“, so Professor Kielbassa. Bakterien siedeln sich auf den Zähnen an und schädigen den Zahnschmelz. Schreitet die Karies fort, wird schließlich auch der Zahnnerv befallen. Dann droht der Verlust des Zahns.

Die Bakterien können über Zahnfleischwunden in den Blutkreislauf gelangen. Die Folgen: Abszesse, Gelenk- und Herzklappenentzündung, Blutvergiftung.

Professor Kielbassa: „Karies kann durch eine optimale Mundhygiene verhindert werden. Regelmäßig angewandt schützt sie also auch vor weiteren Erkrankungen.“

Auch von einem abgestorbenen Zahn schwärmen giftige Zerfallsprodukte in den Körper aus. Das schädigt das Abwehrsystem. Die Folgen: chronische Müdigkeit, Depression, Allergien. „Der Wurzelkanal toter Zähne sollte behandelt werden, wobei auch hier das oberste Ziel die Entfernung der Infektion darstellt“, so Kielbassa.

Auch schiefe Zähne oder eine Fehlstellung des Kiefers können Folgen an völlig anderen Stellen des Körpers haben: Durch den ständigen Versuch, die Schieflage auszugleichen, verspannen sich die Kaumuskeln. Die Folgen: Kopf-, Ohren-, Nacken- und Rückenschmerzen. „Die Fehlstellungen können auch die Mundhygiene deutlich erschweren, wodurch wiederum Karies und Parodontitis begünstigt werden“, so Kielbassa. „Also: Mundhygiene lohnt sich wirklich – nicht nur für die Zähne.“

F. Stüwert Bild am Sonntag, 27.11.2005