Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht

 

http://www.springerlink.com.proxy.nationallizenzen.de/content/q522p471613hq2r5/

"HNO Praxis heute", 2006

 

4.2     Die Herdtheorien

4.2.1  Bakterielle Theorie

Die Streuung bakterieller Keime in die Blut- (Bak-

teriämie) oder Lymphbahnen und damit in den

Gesamtorganismus,  ausgehend  von  Infekten  im

Mund- und Rachenbereich sowie während zahn-

ärztlicher Behandlungen, wurde von zahlreichen

Autoren  untersucht  und  dokumentiert  [13–15].

Bakteriämien  können  bei  bakteriellen  Entzün-

dungen der Mundhöhle [16] sowie während zahn-

ärztlichen  Behandlungen  oder  operativen  Ein-

griffen  auftreten  [17–19].  Auch  im  Zusammen-

hang  mit  der  Zahnreinigung  wird  eine  solche

Bakteriämie  beschrieben  [20,  21].  Keime  gelan-

gen in  die  Blutbahn  und  können  Organe  besie-

deln und schädigen, wie beispielsweise das Endo-

kard, insbesondere nach Herzklappenersatz oder

wenn angeborene oder erworbene Herzklappen-

fehler vorliegen [22,23].

 

4.2.2  Toxintheorie

Grundidee  der  Toxintheorie  ist  die  Verschlep-

pung vorwiegend bakterieller Toxine aus Herden

an  Zähnen,  Tonsillen,  Nasennebenhöhlen  oder

anderen Strukturen entlang peripherer Nervstruk-

turen über den Liqour cerebrospinalis zu den Er-

folgsorganen [24, 25]. Dieser von Slauk, dem Ur-

heber der Toxintheorie, «Fokaltoxikose« genannte

Mechanismus soll Auswirkungen auf die querge-

streifte Muskulatur, die Herzmuskulatur sowie die

Vasomotorik  und  den  Kapillarapparat  haben.

Slauk  wollte  bei  herderkrankten  Patienten  ein

symptomatisches  Muskelzucken  beobachtet  ha-

ben [26, 27].

Analog der Diphtherie, bei der die Toxine der

Klebs-Loeffler-Organismen  Herzerkrankungen

auslösen können, wurde eine Bestätigung für die

Theorie der Fernwirkung lokal exprimierter Bak-

terientoxine gesehen, desgleichen in der Produk-

tion und Dissemination von Exotoxinen beispiels-

weise aus Clostridium tetani oder Bacillus anthra-

cis [28, 29].

 

4.2.3  Allergietheorie

In  der  Allergietheorie  haben  nach  dem  Erstbe-

schreiber Berger körperfremde Eiweißstoffe (En-

doallergene)  schädigenden  Einfluss  auf  labile,

entfernt liegende Organe im Sinne einer allergi-

schen/hyperergischen Reaktion [30]. Solche En-

doallergene  könnten  bei  gesteigertem  Gewebe-

zerfall, beispielsweise einer apikalen Parodontitis,

von  Bakterien  freigesetzt  werden  und  über  die

Blutbahn  zu  einem  entsprechenden  Zielorgan

gelangen.  Im  Zielorgan  käme  es  dann  zu  einer

 allergischen  Reaktion,  der  so  genannten  Fokal-

allergie.

In  einer  solchen  allergischen  Reaktion  auf-

grund einer Hypersensibilisierung auf orale Bak-

terientoxine wurde eine mögliche Ursache für die

rheumatoide Arthritis oder Periarteriitis nodosa

gesehen [31].

 

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4.2.4  Theorie der Giftherde

Der  Internist  und  Umweltmediziner  Daunderer

geht  von  einer  Schädigung  des  Gesamtorganis-

mus durch Medikamente, Metalle und Umwelt-

gifte  aus  [32].  Sämtliche  körperfremden  Stoffe,

die im Laufe des Lebens auf irgendeine Weise in-

korporiert werden – eingeatmet, verschluckt, dif-

fundiert oder bei (zahn-)ärztlichen Behandlungs-

maßnahmen in den Körper eingebracht – sollen

sich  in  Darm,  Haut,  Hirn,  Leber,  Nieren,  Kno-

chen, Zähnen usw. einlagern. Hierdurch sollen in

den betroffenen Organen Stoffwechselschädigun-

gen resultieren und im Bereich der Zahnwurzeln

die Ansiedelung von Bakterien, Pilzen und Viren

begünstigt  werden.  Diese  lokalen  Schädigungen

könnten  durch  »Nebenverbindungen«  Organ-

schäden an anderer Lokalisation im Körper ent-

stehen  lassen.  Grundsätzlich  kann  nach  dieser

Theorie jedem Zahn eine bestimmte Organgrup-

pe zugeordnet werden, so dass bei einer Schädi-

gung in der Organgruppe auf den verursachenden

Zahn rückgeschlossen werden kann (.  Tab. 4.1).

Nach  Daunderer  führt  jedes  Einbringen  von

Fremdmaterial in den Körper (hier speziell zahn-

ärztliche  Werkstoffe)  zu  solchen  »Zahnherden«

und ist somit zu vermeiden. Die Therapie zahn-

ärztlicher Krankheitsbilder besteht laut Daunde-

rer  lediglich  in  der  Extraktion  der  erkrankten

Zähne [33].

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4.2.5   Bildung von C-reaktivem

Protein

Das C-reaktive Protein (CRP) gilt als Marker für

im Körper ablaufende Entzündungen, die mögli-

cherweise  systemische  Auswirkungen  haben.

Durch lokale Entzündungen erhöhte CRP-Werte

im Blut werden als mögliche Mitursache für die

 Atherosklerose  und  somit  als  Risikofaktor  für

 Ischämien bzw. Infarkte angesehen [34, 35]. Bei

der  rheumatoiden  Arthritis  hingegen,  die  viel-

fach  als  eine  klassische  Herderkrankung  ange-

sehen wird, konnte kein (signifikanter) Zusam-

menhang  mit  erhöhten  CRP-Werten  nachge-

wiesen werden [36].

Wendet  man  das  Wissen  um  diese  Zusam-

menhänge auf Erkrankungen der Mundhöhle an,

so  lassen  marginale  und  apikale  Parodontitiden

auf erhöhte CRP-Werte schließen. Bei der Paro-

dontitis  marginalis,  die  eine  bakterielle  Entzün-

dung  des  Parodonts  darstellt,  konnten  erhöhte

CRP-Werte  im  Blut  nachgewiesen  werden  [37].

Daraus  lässt  sich  bei  Patienten  mit  Parodontiti-

den auf  ein  erhöhtes  Risiko  für  die  Ausbildung

atherosklerotischer  Gefäßveränderungen  ablei-

ten [38].