1998 Giftmord als Selbstmord vertuschen versucht

-Ein Zahnarzthelferlehrling erzählte eines Tages sehr aufgeregt nach der Schule, dass eine Mitschülerin in der Pause erzählt hatte, wie man sich beim Zahnarzt rächt, wenn er sie mit einem Kind von ihm sitzen lässt. Man reinigt das Amalgambesteck am Freitag nicht gründlich vor dem Sterilisieren und bittet den Zahnarzt den Sterilisator zu öffnen, wenn es läutet, man müsse jetzt fort. Der Zahnarzt atmet dann den Schwall des verdampften Quecksilbers ein und stirbt dann langsam in den nächsten 6 Wochen. Da er dabei "verrückt wie ein Hutmacher" wirkt, denkt jeder an einen Selbstmord, zumal bei den Zahnärzten die Selbstmordrate sehr hoch ist.

-In der Alkoholikergruppentherapie erzählte lautstark die oft geschlagene Ehefrau eines erfolgreich entwöhnten Alkoholikers, wie sie das Martyrium so lange ausgehalten hatte. Ein verstorbener Gynäkologe hatte ihr geraten, wenn sie es nicht mehr aushält, ihrem Mann täglich auf das Essen einen Esslöffel frisch gepressten Lauch zu gießen, dann wurde er binnen sechs Wochen am toxischen Leberversagen durch die Thiole sterben. Begeistert nahmen dies alle Leidensgenossinnen auf (alter Hexentipp).

- Die Ehefrau eines Arztes wurde als angeblicher Selbstmord durch Schmerzmittel eingewiesen. Sie verstarb im Hirnödem trotz Dialyse.

Wir konnten kein Gift finden und schalteten die Kripo ein. Diese fand Notizen wonach sie der Mann zwingen will, destilliertes Wasser zu trinken. Dies passte voll zu dem klinischen Verlauf.

- Eine Ehefrau brachte ihren Mann bewusstlos mit Atemstillstand zu uns und sagte, er habe selbstmörderisch mehrere Flaschen Schnaps getrunken. Der Alkotest war jedoch negativ. Die Frau war sehr herrisch und rechthaberisch. Die Wiederbelebung war erfolgreich.

Als ich erfuhr, dass sie eine Krankenschwester ist, untersuchte ich den Patienten rektal, weil er stecknadelkopfgroße Pupillen wie nach einer Morphiumvergiftung hatte. Dabei fand ich dort eine weiße Paste, die aussah wie ein Zäpfchen. Dann schickte ich die Kripo in die Wohnung, während die Frau noch bei uns war. Dort wurde eine 10 ml (!) Spritze mit Morphiumresten gefunden. Danach fanden wir die Injektionsstelle durch die Kleider und im Blut extrem hohe Morphinwerte. Der Mann starb.

-Anfang der 70er Jahre  wurde eine junge Notärztin zu einem bewusstlosen Fixer mit Atemdepression in einem Schwabinger Hinterhof gerufen. Sie spritzte 1 Amp.Lorfan(wie Naloxon) i.v. Er erwachte, tobte, war unverschämt und lief weg. Zwei Stunden später, nachdem ich sie abgelöst hatte, wurde ich in der Nähe wieder zu ihm gerufen. Jetzt war er tot. Das Antidot wirkte nur vorübergehend, die Vergiftung trat wieder ein. (Dieser Fall passt eigentlich nicht hierher!)

-In Bhopal sah ich über 40 tote Mütter mit Kleinkindern im Arm. Die weinenden Väter erzählten mir, dass die Mütter schreiend ihre Kinder in Sicherheit bringen wollten und in die Giftwolke liefen, um sofort tot umzufallen, während sich alle Besonnenen ein Tuch vor Nase und Mund drückten und in eine Ecke kauerten und ohne Symptome überlebten. Man sieht, wie wichtig eine Katastrophenvorsorge ist.

- Eine ledige Frau wurde tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Bei der rechtsmedizinischen Leicheneröffnung wurde in ihrer Scheide ein mit Blausäure getränkter Tampon gefunden. Bei der Befragung ihres älteren Freundes gab dieser an, dass sie immer gedroht hatte, sich so das Leben zu nehmen. Verwandte sagten allerdings das Gegenteil.

Er verwickelte sich bei der Vernehmung in Widersprüche, leugnete kurz vor dem Tod Blausäure gekauft zu haben trotz Gegenbeweisen und kam in Untersuchungshaft. Dort schluckte er eine Riesendosis Schlafmittel und kam zu uns. In der Aufwachphase, als er noch nicht richtig bei sich war befragte ich ihn wie hunderte andere.

Dabei sagte er, dass er zur Orgasmussteigerung seiner Freundin einen mit Blausäure getränkten Tampon in die Scheide gesteckt hatte und sie nur mit den Fingern dann zu einem Super-Orgasmus stimuliert hatte. Dies wiederholte er mehrmals hintereinander auf ihren Wunsch, bis sie tot war. Ich holte den bewachenden Kripomann herein, dem er alles weitererzählte. Rasch wurde aus dem Selbstmord ein Totschlag.

-1970 hatte ich einen Schlaganfall-Patienten auf Station, der stets von seiner Ehefrau besucht wurde. Später erzählten die Mitpatienten, wie diese ihn bedroht hatte, weil er 

seit kurzem eine junge Freundin hatte: "Wart nur, wenn du zuhause bist, dann zahle ich dir alles zurück". Kurz vor der Entlassung brachte sie ihm in der Thermosflasche etwas mit, das ihm gegen seinen Willen wegen seiner Lähmung eingeflösst wurde. Kurz nachdem die Frau gegangen ist, verstarb der Mann völlig unerwartet unter Krämpfen. Noch ehe wir die Hintergründe erfuhren, war die Leiche feuerbestattet, der Stationsarzt hatte unwissend den Leichenschauschein ausgestellt. Wir vermuteten eine E605-Vergiftung. Die Witwe erbte viel.

Im Städtischen Krankenhaus erlebten wir ähnliches, Unbeweisbares oft. Die alte Stationsschwester sagte zur Besuchszeit am Sonntag immer: "Gehen wir, die Erbschleicher kommen." Viele Versuche, Giftmorde aufzuklären, scheiterten aber trotz guten Willens.

- So hatte die Schwester einer Arztfrau, die ich bewusstlos bei uns aufgenommenen habe, bei ihr angerufen und gesagt, ihr Mann habe sie gezwungen, einen Liter destilliertes Wasser zu trinken. Kurz danach wurde sie bewusstlos unter den Zeichen eines Hirnödems. Trotz sofortiger Dialyse, blieb sie hirntot. Ich konfrontierte ihren Mann mit diesem Verdacht, er sagte hohnlachend: "Wie weisen sie mir dies nach?" Er hatte Recht, auch dieser Todesfall blieb ungesühnt.

- Einem Studenten in Regensburg konnte ich nachweisen anhand von Fotos der Fingernägel seiner Freundin, dass er dreimal versucht hatte, seine Freundin durch Thallium aus der Zelio-Rattengiftpaste  in der Salatsoße umzubringen. Dreimal hatte sie schubweise einen Haarausfall. Nach meinen Hinweisen fand man in der Studentenbude ein Schälchen mit rosa Thalliumresten und ein Chemiebuch mit Einmerkungen bei Thallium. Nach seiner Verurteilung erhängte er sich in der Zelle.

- Schwierig war der Nachweis eines Mordversuches eines Chemikers an seiner Frau und beiden Töchtern. Beim Bremsen trat Quecksilber im Winter aus der Heizung aus. Das Auto wurde mir gebracht und unter Schutz wurden daraus 100 Gramm metallisches Quecksilber gekehrt. Bei allen wurden erhöhte Quecksilberwerte gefunden. Ein unvorsichtiger Radfahrer, der Zur Notbremsung zwang, hatte den Mordversuch, der bei der laufenden Heizung im Winter erfolgreich gewesen wäre, zunichte gemacht. Das Antidot DMPS beseitigte rasch alle Folgen. Dem Mann konnte nicht nachgewiesen werden, dass er das Gift ins Auto gefüllt hatte.

- Einer der spektakulärsten Morde war der Tod von Uwe Barschel, der als Selbstmord von allen Boulevardblättern  verkauft wurde. Jeder Fachmann wusste beim Blick des Mannes im Anzug in der Badewanne liegend, dass dies nie ein Selbstmord war. Als der Fernsehreporter Prütting mir die Sektionsprotokolle sandte und über die Hintergründe berichtete, riet ich ihm zum Schutze seines Lebens  von der Klärung ab. Erst als der Rowohlt-Verlag ein Buch des Mörders mit allen Details veröffentlichte, konnte man davon reden.

- Zahlreiche Giftmorde wurden als Selbstmord bei uns angekündigt.

Daher denkt ein Klinischer Toxikologe wie die Kripo bei jedem Todesfall - und Erkrankungsfall - zunächst immer an einen Mordversuch. So wurden über 50 Morde bzw. Versuche entdeckt. Anfangs gelang nie der Nachweis, daher wurde der Blick dafür später besonders geschärft.

(Auszug aus meiner neuen Biografie)