GALENUS MANNHEIM

2. Psychiatrische Gespräche am Gasteig

Angst - Depression - Schmerz

und ihre Behandlung

in der ärztlichen Praxis

Herausgegeben von H. Hippius, M. Ortner und E. Rüther


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H.Hippius   M. Ortner  E.Rüther (Hrsg.)

Angst - Depression -

Schmerz

und ihre Behandlung

in der ärztlichen Praxis

Mit Beiträgen von

V. Beck   E. Bönisch   M. Daunderer   P. Götze R.Grohmann    H.Hippius    W.Kissling R. Kocher   W. Maier   1. Melier   B. Pflug E.Rüther   M.Schmauss   R.Wörz

Mit 3 Abbildungen und 23 Tabellen

Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo


Die Bedeutung von Antidepressiva

in der Entzugsbehandlung Alkoholabhängiger

M. Daunderer


Beim Alkoholentzug unterscheiden wir die Phase der Entgiftung, die etwa 10 Tage dau­ert und die der Entwöhnung, die 9 Monate bis 2 Jahre beträgt.

In Abb. l werden die verschiedenen Trinker­typen nach Jellinek, ihre Diagnostik, das kli­nische Bild und die Therapie dargestellt. Nur etwa 15% der Alkohol- bzw. Sedativaabhän-gigen entwickeln nach dem Absetzen ihrer Droge ein Entzugsdelir und/oder einen Ent-zugskrampf. Bei einer reinen Alkoholabhän­gigkeit kann man zum Zeitpunkt eines noch bestehenden, nachgewiesenen Alkoholspie­gels im Alkoholtest durch die einmalige in­tramuskuläre Injektion von 2mg Physostig-minsalizylat ein Entzugsdelir verhindern. Ein Entzugskrampf läßt sich bei entsprechender Anamnese (bei etwa 5% der Patienten) durch die l- bis 3malige frühestmögliche Injektion von Phenytoin unmittelbar nach dem ersten negativen Alkotest beginnend, in Intervallen von 12h wiederholt, verhindern. Ein Alkohol- oder Schlafmittelentzugsdelir muß mit Clomethiazol-Infusjonen auf einer Intensivstation behandelt werden. Die Defi­nition eines Entzugsdelirs umfaßt die Trias der Symptome: Desorientiertheit, Halluzina­tionen, Tremor.

Alle übrigen Symptome wie Unruhezustän­de, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Ap­petitlosigkeit, Durchfall, Erbrechen, Durst u.a. werden als Prädelir bezeichnet. Die ora­le Behandlung des Delirs oder Prädelirs mit Clomethiazol, Benzodiazepinen oder Barbi-turaten ist riskant und sollte spätestens 10 Tage nach Einsetzen der Entzugserschei­nungen beendet sein. Sollte eine längere Ein­nahme der Psychopharmaka erfolgen, ist zu


berücksichtigen, daß mit geringen Alkohol­mengen starke Rauschzustände erreicht wer­den können. Diese Patienten drängen nach der Alkoholentgiftung ihre Hausärzte zu ei­nem unbegrenzten Verschreiben des Psycho­pharmakons. Bei dem Versuch, diese Medi­kamente abzusetzen, tritt schon nach weni­gen Wochen ebenfalls ein Prädelir oder sogar ein Delir auf. Pirazetam, Carbamaze-pin oral oder Butyrophenon waren bei Dop­pelblindstudien nicht effektiver als Placebos. Da Polytoxikomane außerordentlich stark suggestibel sind, werden immer neue Präpa­rate für die Behandlung des Prädelirs emp­fohlen, welche auch von manchen Patienten als sehr wohltuend empfunden werden. Der Arzt benötigt jedoch für Patienten, die unter heftigen, jedoch nicht deliranten Ent­zugserscheinungen leiden, ein Medikament, das den Patienten ruhigstellt, ohne gefährli­che Nebenwirkungen bei einem möglichen Rückfall mit Alkohol und ohne ein Abhän­gigkeitspotential zu haben. Hier hat sich bei uns seit 1972 in über 20 000 Fällen Doxepin als Aponal 50 be­währt. Die kleine Lacktablette mit Bruchrille kann von dem Entzugspatienten mit oft ex­trem trockenen Mund, Schluckstörungen und Brechreiz leicht geschluckt werden. Die Dosierung beträgt 3 x Vi bis 3x1 Tablette pro Tag. Dieses trizyklische Antidepressivum hat bei hoher initialer Dosierung als Begleit­wirkung einen schlaf anstoßenden Effekt, der etwa nach 10 Tagen nicht mehr auftritt. Pati­enten, die weitere Effekte erwartet haben, setzen Doxepin dann enttäuscht ab, sodaß keine Gefahr der Entwicklung einer Doxe-pin-Abhängigkeit besteht. Andere Patienten


Die Bedeutung von Antidepressiva in der Entzugsbehandlung Alkohol abhängiger


 


 


Trinkertyp:


Gelegenheits-Konflikttrinker „Ich trinke, um mich anders zu füh­len"


Gewohnheits-Spiegeltrinker „Ich bekämpfe morgendliche Übel­keit"


 


Diagnose;


Fragebogen Alkotest


Früheres Delir? Entzugskrampf?

Alkotest

Gamma-GT


 


2 Gruppen innerhalb des Trinkertyps:

Symptome:


 

 

 

 

 

reine Alkohol-abhängig-

 

zusätzlich abhängig von Antiepileptika (Barbituraten,

 

Gamma-GT

<300

 

Gamma-GT

>300

 

 

Benzo-

 

 

 

 

 

 

diazepinen,

 

 

 

 

 

 

Clomethiazol)

 

 

 

 

1

 

 

i

'

U

r ^

1

 

 

 

 

 

 

Delir (10%)

Prädelir

 

Entzugs-

 

„Leber-Typ"

(80%)

 

krampf(10%)

 

Trias: Desorientiertheit,

Tremor

 

„ZNS-Typ"

 

Halluzinationen,

 

 

 

 

 

 

Tremor


 


Therapie:


Doxepin, oral (Aponal 50)


Phenytoin, i. v. (2 Tage lang)


zur Prophylaxe: Physostigmin, einmalig bei Intoxikationen

Therapie: Clomethiazol als Infusion! (Intensivstation!)


Abb.l. Therapieübersicht: chronischer Alkoholismus


lernen mit Einsetzen der Entwöhnungsbe­handlung die Medikation spätestens nach 6 Wochen abzusetzen. Manisch-depressive Patienten mit Alkoholabhängigkeit erhalten zusätzlich Lithium.

(Literatur beim Verfasser)

Diskussion

Beck: Nach welchen Kriterien beurteilen Sie den Einsatz eines bestimmten Antidepressi-vums im Alkoholentzug? Spielt hier die psy-chomotorische Wirkung - also der primär dämpfende oder antriebssteigernde Effekt eine Rolle?


Daunderer: Vom Patienten werden natürlich die Antidepressiva bevorzugt, die einen deut­lichen und schnellen Wirkungseintritt in Richtung Ruhigstellung haben. Doxepin hat sich in meiner Praxis für den Patienten als ein gut steuerbares Antidepressivum mit ei­nem schnellen und deutlichen Dämpfungsef­fekt erwiesen. Darüber hinaus hat sich in meiner Praxis das Doxepin über lange Jahre hinweg als die Substanz herauskristallisiert, von der wir keinerlei Abhängigkeitsentwick­lung feststellen konnten.

Rüther: Gibt es Doppelblindstudien, die die­se Aussagen belegen?

Daunderer: Ich selbst habe bei prädeliranten Patienten eine placebokontroliierte Doppel­blindstudie durchgeführt. Während in der


Placebogruppe nur 25% der Patienten erfolg­reich behandelt werden konnten, lag die Er­folgsquote in der Doxepingruppe bei 80% (M.Daunderer, Toxikologische Enzyklopä­die, Teil 2, Klinische Toxikologie 1980). Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Studie war, daß in der Doxepingruppe kein höheres Risiko bezüglich eines Entzugskrampfes be­obachtet werden konnte; die Anzahl der krampfenden Patienten unter Doxepin war nicht höher als diejenigen unter Placebo.

SchiiKHiss: Sie empfehlen zur Therapie des Prädelirs mit Doxepin ein trizyklisches Anti-depressivum, das ausgeprägte anticholinerge Eigenschaften hat. Besteht hier nicht die Ge­fahr, daß Sie die Entwicklung eines Delirs praktisch induzieren?

Daunderer: Das Delir wird dadurch verhin­dert, daß wir allen Patienten zum Zeitpunkt der maximalen Intoxikation, d.h. wenn der Alkoholtest noch positiv ist, bei der die von Ihnen genannten anticholinergen Symptome vorliegen, Physostigminsalizylat intramusku­lär verabreichen. Das ist die Voraussetzung

für eine ambulante Entgiftung. Wenn Sie be­fürchten, daß der Patient ein Delir entwickelt, müssen Sie ihn rechtzeitig in die Klinik einweisen. Durch die rechtzeitige Injektion von Physostigmin können Sie jedoch die Entwicklung eines Delirs verhindern. Wenn Sie nun durch die Physostigmin-Injektion das Klientel der möglichen deliranten Pati­enten ausgesondert haben, bleiben nur noch die Patienten übrig, die eine prädelirante Symptomatik bieten. Bei diesen Patienten verstärkt Doxepin natürlich die anticholiner­ge Symptomatik, allerdings nicht in der Wei­se, daß der Patient darunter leidet. Die Aus­prägung dieser anticholinergen Nebenwir­kungen ist natürlich auch von der eingesetz­ten Dosis abhängig. Wir haben früher we­sentlich höhere Dosen, bis maximal 300 mg/ Tag, gegeben, und dann waren die anticholi­nergen Nebenwirkungen für den Patienten sehr störend, auch was die tachykarde Sym­ptomatik anbetrifft. Heute setze ich viel geringere Dosen bis maximal 150 mg Doxepin ein.

Rüther: Gibt es eine Studie, die Doxepin ge­genüber anderen Antidepressiva vergleicht und in der wissenschaftlich belegt ist, daß Doxepin das einzige Antidepressivum ist, das man in dieser Indikation einsetzen kann?

Daunderer: Nein.

Wörz: Sie haben die intravenöse Applikation von Clomethiazol beim eingetretenen Delir empfohlen. Meines Erachtens impliziert die­ses Vorgehen doch erhebliche Risiken der Atemdepression bzw. des Atemstillstands. Ich habe Anfang der 70er Jahre selbst erlebt, daß einige Patienten nach intravenöser Ver­abreichung von Clomethiazol reanimimert werden mußten und seitdem generell emp­fohlen, Clomethiazol nur eine befristete Zeit oral zu verabreichen.

Daunderer: Clomethiazol oral können Sie m. E. nur beim Prädelir einsetzen. Im Delir (s. meine Definition S. 86) nur mit oraler Me­dikation zu arbeiten, bedeutet für einen Pati­enten ein hohes Risiko, denn Sie haben im Delir im Vordergrund stehend, den Volu­menmangel, den Wasserverlust, den Elektro­lytverlust wie den Magnesiummangel und den Kaliummangel. Wenn ein Delir besteht, muß der Patient einen venösen Zugang ha­ben, müssen diese Mangelzustände behoben werden. Sie müssen beim chronischen Alko­holiker auch die vorbestehende Kardiomyo-pathie und die Neigung zu Herzrhythmus­störungen mit einkalkulieren. Diese Patien­ten gehören in die Intensivstation und müs­sen am Monitor überwacht werden. Unter diesen Voraussetzungen ist die Clomethia­zol-Infusionstherapie ein geringes Risiko.

Wörz: Das sind Forderungen, die nicht reali­sierbar sind. Es ist zumindest außerhalb der Großstädte einfach nicht möglich, Hunderte von deliranten Patienten in Intensivstationen zu versorgen.


(Dr.D.: Kurz danach wurde Chlomethiazol Kapsel vom Markt genommen!)


 


Hippius: Bei uns ist die Situation so, daß wir durchaus auch manifeste Delire mit Clomethiazol oral behandeln und Flüssigkeit sowie Elektrolyte substituieren. Erst wenn der Ver­lauf des Delirs zu einer parenteralen Gabe von Clomethiazol zwingt, verlegen wir den Patienten auf die Intensivstation. Wir führen schon seit einigen Jahren keine intravenöse Applikation von Clomethiazol mehr durch.

Rüther: Ich möchte der Forderung von Herrn Daunderer widersprechen, daß jedes Volldelir auf einer Intensivstation behandelt werden muß. Ich halte diese Forderung ebenfalls für nicht realisierbar.

Götze: Wir behandeln auch in Hamburg die Delire - so wie Sie, Herr Daunderer sie be­schrieben haben - ebenfalls in der Psychia­trie mit Clomethiazol, aber oral. Wir verle­gen nur die Patienten auf die Intensivstation, bei denen wir wissen, oder bei denen es zu vermuten ist, daß eine kardiale oder pulmo-nale Schädigung vorliegt, oder ältere Patien­ten, bei denen wir eine unklare Vorgeschich­te haben, wo auch zerebral, z. B. durch einen vorangegangenen Sturz, eine Komplikation vorliegen könnte. Diese Vorgehensweise hal­te ich für praktikabel und empfehlenswert.

Hippius: Wenn ein Patient völlig desorien­tiert ist, u.U. auch vegetative Irritationssym­ptome hat und im Nachhinein eine komplet­te mnestische Lücke für diese 2-3 Tage, in denen er dieses psychopathologische Voll­bild eines Delirs geboten hat, vorliegt, und er alle 4 h per os Clomethiazol erhalten hat, liegt dann bei diesem Patienten Ihrer Mei­nung nach ein Prädelir oder ein Delir vor?

Daunderer: Die Grenze vom Prädelir zum Delir ist fließend. Ich würde sagen, wenn Sie den Patienten oral mit Clomethiazol behan­deln konnten, war das mit Sicherheit kein Delir, sondern ein Prädelir.

Hippius: Dem würde ich widersprechen, weil psychiatrisch das Delir ein an der psychopathologischen Symptomatik orientierter Be­griff ist und eine Symptomatik mit völliger Desorientiertheit, motorischer Unruhe und totaler mnestischer Lücke aus meiner Sicht als Delir zu bezeichnen ist. Auch Ihrer Mei­nung, daß ein Delir nicht mehr oral mit Clomethiazol behandelt werden soll, kann ich nicht zustimmen. Die meisten unserer Pati­enten mit Delirien werden bei uns peroral mit Clomethiazol behandelt, und ich teile nicht Ihre Meinung, daß man bei diesen Pa­tienten dann von einem Prädelir sprechen müßte. Wenn allerdings eine parenterale An­wendung von Clomethiazol notwendig ist, dann gehört der Patient sicherlich auf die In­tensivstation, darin stimme ich mit Ihnen völlig überein.

Rüther: Ich behandle meine Patienten, die ein Delir entwickeln, ebenfalls vorerst per­oral mit Clomethiazol und zwar in 4stündli-chen Intervallen. Die Empfehlung von Herrn Daunderer, nun 1'/zstündlich Clomethiazol oral zu verabreichen, kann ich nicht mittra­gen. Im Gegenteil, wenn der Patient 2stünd-lich Clomethiazol benötigt, ist das für mich ein Signal für eine intravenöse Behandlung, und dann geben wir den Patienten in die In­tensivstation.

Daunderer: Bei der oralen Gabe von Clome­thiazol beträgt die Halbwertszeit 4 Stunden, d.h. daß Sie bei dieser geringen Dosis nur et­wa eine halbe Stunde lang effiziente Spiegel erreichen. Danach klingt die sedierende Wir­kung wieder ab.

Darüber hinaus kenne ich keine Entzugsdeli­rien, die nicht noch irgendwelche substitu­tionsbedürftigen Nebenbefunde hatten, wie z.B. der erhöhte Flüssigkeitsbedarf durch starkes Schwitzen oder der Elektrolytmangel, so daß ich auch aus diesem Grunde eine par­enterale Gabe von Clomethiazol empfehlen würde.

Hippius: Das ist völlig richtig, aber diese parenterale Flüssigkeits- und Elektrolytsub­stitution oder auch eine Antibiotikagabe,


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Die Bedeutung von Antidepressiva in der Entzugsbehandlung Alkoholabhängiger


 


wenn der Patient .erhöhte Temperaturen hat, ist meiner Meinung nach auf jeder Allge­meinabteilung bzw. psychiatrischen Abtei­lung durchzuführen, und es ist nicht unbe­dingt notwendig, den Patienten auf die In­tensivstation zu verlegen.

Ruinen Würden Sie einem Praktiker emp­fehlen, ein Prädelir ambulant oral zu behan­deln?

Daunderer: Die Voraussetzung hierfür ist, daß der Praktiker die Phasen des AlkohoIentzuges einmal kennengelernt und eine ge­wisse Erfahrung in der Behandlung des Prä-delirs gesammelt hat. Wenn sich der nieder­gelassene Arzt für eine ambulante Behand­lung entschieden hat, ist eine engmaschige Überwachung des Patienten unabdinglich. Auf jeden Fall muß die Möglichkeit gegeben sein, den Patienten beim Auftreten von Komplikationen umgehend in die Klinik einweisen zu können.

Kissling: Sie empfehlen, daß ein Prädelir auf keinen Fall mit Clomethiazol behandelt wer­den sollte. Ist es nicht so, daß man durch dieses Einsparen von Clomethiazol einen vermeidbaren Prozentsatz von Patienten vom Prädelir dann ins Delir befördert, nur um das Risiko einer möglichen Suchtgefährdung zu vermeiden?

Daunderer: Da gehen Sie von der Meinung aus, daß Clomethiazol ein Delir verhindern könnte. Clomethiazol hat im Prädelir den gleichen Effekt wie Doxepin. Es sediert den Patienten, hat aber mit Sicherheit keinen de-lirverhindernden Effekt, sondern das beste­hende Prädelir oder Delir wird vom Patien­ten besser ertragen, weil seine Erregung gedämpft wird. Auch kürzt das Clomethiazol das Delir nicht ab, sondern das Delir dauert 5 Tage, ob Sie Clomethiazol geben oder nicht. Das Delir bleibt in seiner Länge im­mer gleich. Wenn steh dann ein weiteres De­lir anschließt, liegt mit Sicherheit eine Poly-toxikomanie vor. Es gibt ja die sog. protra-


hiert verlaufenden Delire. Bei diesen Patien­ten liegt meistens noch eine Benzodiazepin-Abhangigkeit vor, und wenn dann das Benzodiazepin mit abgesetzt wird, kann nach Ablauf des 5. Tages ein Benzodiazepin-Ent-zugsdelir zusätzlich auftreten. Ist der Patient barbituratabhängig, kann es zu einem zusätz­lichen Delir 8-10 Tage nach Absetzen des Barbiturates kommen.

Man kann also nicht behaupten, daß Clo­methiazol einen deh'rprotektiven oder einen delirabkürzenden Effekt hätte.

Ruf her: Ich bin im Gegensatz zu Ihnen, Herr Daunderer, schon der Meinung, daß man mit Clomethiazol die Dauer eines Delirs ab­kürzen kann. Dieser Dissens liegt jedoch wahrscheinlich darin, daß Sie einen anderen Deh'rbegriff haben als wir und Sie nur sehr schwerwiegende Verläufe als Delir betrach­ten.

Hippius: Meines Erachtens muß ein Delir nicht unbedingt 5 Tage dauern, es kann auch nur 24 h anhalten.

Schmauss: Würden Sie dem Praktiker raten, Physostigmin in der Praxis zu injizieren ?

Daunderer: Wenn der niedergelassene Prak­tiker entsprechende Erfahrungen gesammelt hat, ja. Allerdings gehören hierzu sicherlich eine sorgfältige Aus- und Weiterbildung und auch Informationen darüber, wann Physo­stigmin und Clomethiazol indiziert sind. Wichtig ist, daß beim Alkoholentzug der Al­koholtest durchgeführt wird, denn sonst be­steht die Gefahr, daß Barbiturat- oder Benzodiazepin-Entzugsdelirien ebenso behan­delt werden, wie ein Alkoholentzugsdelir, und das ist sicher falsch.

Ruthen Wenn der AJkoholtest negativ aus­fällt, haben Sie zur Vermeidung eines Ent­zugskrampfes die intravenöse Gabe von Phe-nytoin empfohlen. Warum geben Sie nicht Phenobarbital?


 


 


Daunderer: Weil ich Angst habe, daß der Pa­tient vielleicht ein Barbiturat-Entzugsdelir entwickelt, da ich zu Beginn nicht ganz si­cher bin, ob er wirklich keine Barbiturate nimmt. Bei einer zusätzlichen Barbituratab-hängigkeit dürfte diese geringe Phenobarbi-taldosis i.v. nicht sehr effizient sein. Beim Phenytoin bin ich mir ziemlich sicher, daß der Patient davon noch nicht abhängig ist. Wenn Sie einen Entzugskrampf verhindern wollen, muß ja alles sehr schnell gehen, denn der Entzugskrampf kann oft noch unter ei­nem positiven Alkoholspiegel eintreten. Während ein Entzugsdelir in der Regel in den ersten 24 h nach Absetzen des Alkohols auftritt, kann sich ein Entzugskrampf schon in den ersten 6 h entwickeln, obwohl es in seltenen Fällen auch noch bis zum 5.Tag zu einem Entzugskrampf kommen kann.

Schmauss: Ich würde ebenfalls unterstrei­chen, daß die Behandlung eines Krampfan­falles heute sicherlich nicht mehr eine Phenobarbitalgabe erfordert.

Kissling: Ich meinte die prophylaktische Ga­be von Phenobarbital.

Daunderer: Wir kennen ja viele Alkoholiker, die in einer Phase, in der sie die Dosis redu­ziert haben, einen epileptiformen Krampfanfall bekommen haben und die danach gele­gentlich einer zusätzlichen antiepileptischen Langzeittherapie zugeführt wurden. Wenn


also ein Patient eine bekannte Alkoholanamnese hat und kein zerebrales Trauma und keine Auffälligkeit in der Anamnese zu fin­den sind, sollte man davon ausgehen, daß dieser Krampfanfall ein einmaliges Ereignis war, das sich nur dann wiederholt, wenn der Alkoholiker einen Entzug durchführt. Mit Sicherheit sollte hier keine Langzeitantiepileptika-Therapie durchgeführt werden.

Hippius: Wenn ich jetzt eine zusammenfas­sende Empfehlung aussprechen sollte, habe ich gewisse Schwierigkeiten mit der Darstel­lung eines Konsensus. Festhalten können wir, daß ein gewisser Dissens besteht zwi­schen den Verhaltensmaßregeln, die Herr Daunderer empfiehlt und der Auffassung seitens der Psychiatrie. In der psychiatri­schen Darstellung bestand m. E. ein Kon­sens, daß man solange wie möglich mit Clo-methiazol per os behandeln sollte und daß eine Verlegung in die Intensivstation drin­gend erforderlich ist, wenn intravenös Clomethiazol appliziert wird. Ebenso besteht si­cherlich ein Konsens, daß Clomethiazol nicht über Wochen und Monate gegeben werden darf, sondern nach 1- bis 2wöchiger Behandlung wieder abgesetzt werden soll. Daß die vegetative Abstinenzsymptomatik noch nicht als Delir zu bezeichnen ist, darin besteht ebenfalls ein Konsens. Unterschied­lich bleibt die Auffassung über die Unter­scheidung zwischen Prädelir und Delir und die Behandlungsnotwendigkeit des Delirs mit Clomethiazol i.v. oder peroral.