Entzündungsbedingte
Kieferzysten
Differenzialzysten und
Morphologie ? Teil 1
Die Knochen des Ober- und
Unterkiefers unterscheiden sich von jenen des Ìbrigen Skeletts durch ihren
Gehalt an epithelialem Gewebe. Sie enthalten in ihren Markräumen Gewebe sowohl
odontogenen als auch nichtodontogenen Ursprungs.
Odontogenes Epithel findet sich als Residue der embryonalen Zahnanlagen, nämlich
der Zahnleisten und des Schmelzorgans, und liegt nestartig in Form der so
genannten Malassez?schen Epithelreste im Kieferknochen. Das nichtodontogene
Epithel befindet sich ausschlieÿlich im Oberkiefer als Rest des Überzugs der
embryonalen Fortsätze, welche die Maxilla bilden.
Die Einteilung der Zysten basiert auf der im Jahr 1992 von der WHO erstellten
Klassifikation nach Pindborg, Shear und Kramer (siehe Tabelle).
Was ist eine
echte Zyste?
Unter echten Zysten
versteht man durch ein- bis mehrreihiges Epithel ausgekleidete, mit FlÌssigkeit
oder breiigem Zelldetritus gefÌllte HohlrÀume. Sie zeichnen sich durch eher
langsame Gröÿenzunahme und vorwiegend verdrÀngendes Wachstum aus, wobei es im
Regelfall zu keiner Infiltration benachbarter Gewebe kommt.
Kieferzysten sind relativ hÀufige pathologische VerÀnderungen. MÀnner sind
öfter betroffen als Frauen. Die Zysten treten bevorzugt im mittleren
Lebensalter bei Patienten mit retinierten ZÀhnen auf. So konnten bei
systematischen Röntgenuntersuchungen in einem Prozent der FÀlle solche Zysten
nachgewiesen werden. Im Röntgenbild imponieren sie als relativ scharf
begrenzte, vermehrt strahlendurchlÀssige Strukturen. Die hÀufigste Form ist die
radikulÀre Zyste mit 65 bis 70 Prozent, gefolgt von der follikulÀren Zyste mit
13 bis 17 Prozent, der Residualzyste mit zwei bis acht Prozent und der
Primordialzyste mit zwei bis sechs Prozent.
Die meisten Zysten werden als Zufallsbefunde im Rahmen einer
Röntgenuntersuchung festgestellt. Sie verursachen, solange sie klein und nicht
infiziert sind, keine Beschwerden. Durch ihr zwar langsames, aber
kontinuierliches verdrÀngendes Wachstum kann es allerdings zu Störungen der
Zahnanlagen, Retinierung von ZÀhnen und zu schweren Zahnfehlstellungen kommen.
Bei Wachstum in die Kieferhöhle verursachen Zysten entsprechende Beschwerden.
Sehr groÿe Zysten können bis zu pathologischen Kieferfrakturen fÌhren. Bei
Infektion und EntzÌndung kommt es zu Schwellungen, Rötung und Abszessbildung
mit eitriger Einschmelzung des Gewebes.
Die gÀngige Therapie besteht in einer radikalen chirurgischen Zystektomie,
wobei die gesamte Zyste samt Inhalt und Zystenbalg entfernt wird. Bei groÿen
Zysten kann die Methode etwas modifiziert werden: Die Zyste wird eröffnet,
entleert und in einem zweiten Eingriff dann der Zystenbalg entfernt. Die dritte
Möglichkeit besteht in einer Zystenöffnung in gröÿtem Umfang des Hohlraumes und
einem Belassen des Balgs als Teil der umgebenden Schleimhaut (Marsupialisation).
Radikuläre Zyste
Die radikulÀre Zyste
entsteht meist im Rahmen einer periapikalen Parodontitis an der Wurzelspitze
eines pulpatoten Zahnes. Der von diesem Bereich ausgehende EntzÌndungsreiz
stimuliert die Proliferation der Malassez?schen Epithelreste. Die
EpithelstrÀnge durchziehen das Granulom netz-, glocken- oder girlandenartig und
können auch Gewebsabschnitte im Zentrum des Granuloms
umwachsen. In jungen Zysten geht die OberflÀche auÿen in ein netzförmig
proliferiendes Epithel Ìber. Alte Zysten bilden hingegen solide dicke
Wandschichten aus.
Die Zystenauskleidung besteht aus 6 bis 50 Lagen Plattenepithel ohne Stratum
corneum, abschnittsweise kann die innere Begrenzung des Hohlraumes auch von
Granulationsgewebe gebildet werden. Vom Epithel aus ziehen zapfenartige
AuslÀufer in das benachbarte Bindegewebe des Zystenbalgs, welches von
Granulozyten, Lymphozyten und Makrophagen durchwandert wird.
Der zystische Umbau der Granulome durchlÀuft mehrere
Phasen. Im ersten Schritt kommt es, bedingt durch den nekrotischen
Gewebszerfall im Inneren des Granuloms, zu einem Abfall des pH-Werts und einer
Senkung des Sauerstoffpartialdrucks. Diese PhÀnomÀne stimulieren die Teilung
der Epithelzellen, welche in der Folge bindegewebige
OberflÀchen um ein ruhendes Abszess umwachsen. Die Basalzellen geben
neue Tochterzellen in das Innere der mehrschichtigen EpithelstrÀnge ab. Durch
diese Verdickung entsteht eine physiologisch ungÌnstige Versorgungssituation
des Gewebes und es kommt zu proteolytischer Auflösung des Gewebes und zur
Nekrose. Segmentkernige Leukozyten und Monozyten wandern ein, das Gewebe wird
ödematös und es entstehen kleine Zysten, welche schlieÿlich zu einem
geschlossenen gröÿeren Hohlraum konfluieren.
Im Laufe ihrer Entwicklung vergröÿert sich die so entstandene Zyste auf einen
Durchmesser von durchschnittlich 1,5 cm. Durch den, aufgrund des Gewebszerfalls
bedingten, osmotischen Gradienten Ìbersteigt der
hydrostatische Druck in der Zyste den Kapillardruck und es strömt weitere
FlÌssigkeit in den Hohlraum ein. An der Auÿenseite entsteht eine
Bindegewebskapsel aus derben KollagenfaserbÌndeln, die mit dem perapikalen
Desmodont und dem Wurzelzement des Zahnes verwachsen sind. Die Leukozyten und
Fibroblasten des Zystenbalgs produzieren Prostaglandine und Kollagenasen. Diese
Faktoren wiederum fördern die OsteoklastenaktivitÀt und es kommt in der
Umgebung der Zyste zum Abbau des alvÀolÀren Knochen.
Die meisten radikulÀren Zysten bleiben mit Durchmessern von 5?12 mm relativ
klein. Das Lumen enthÀlt brÀunliche FlÌssigkeit,
Zellfragmente und Cholesterinkristalle aus Plasmamembran-lipiden. Sie sind oft
asymptomatisch, in zehn Prozent der FÀlle kommt es allerdings zu bakteriellen
Infektionen, Abszessen und auch Fistelbildungen.
Röntgenologisch ist eine sichere Unterscheidung zwischen einem Granulom und
einer bereits bestehenden radikulÀren Zyste nicht immer sicher möglich.
Allerdings steigt ab einem Durchmesser von mehr als 8 mm die
Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der dargestellten Struktur um eine Zyste
handelt. Die radikulÀre Zyste ist bevorzugt im Oberkiefer an den Molaren und
FrontzÀhnen lokalisiert. Bei Entfernung sollte der Zystenbalg zum Ausschluss
anderer LÀsionen histologisch untersucht werden. Bei Infektionen und
abszedierenden Prozessen im Zystenbereich sind eine mikrobiologische AbklÀrung
und eine darauf basierende antibiotische Begleittherapie notwendig.
Residualzyste
Die Residualzyste kann
eigentlich als Folgeerscheinung einer teilweise entfernten radikulÀren Zyste
angesehen werden. Wird ein mit einer radikulÀren Zyste behafteter Zahn
extrahiert, können Reste des Zystenbalgs im Knochen zurÌckbleiben. Diese
beginnen von sich aus gutartig zu proliferieren. Die Residuen mÌssen dann
sorgfÀltig vollstÀndig entfernt und zur Begutachtung an ein Pathologielabor
geschickt werden.
Ch. Eder, L. Schuder
Mikrobiologie
Zahnarzt, 13. Jahrgang Nr.
7, 2008