Eiterkiefer 80 000 Todesfälle jährlich
Jedes Jahr sterben in Deutschland 80 000
Menschen an einer Blutvergiftung. Häufig werden die Warnzeichen nicht
rechtzeitig erkannt.
Heimlicher Killer
Wenn Rosemarie L.
(65) das Foto ihres verstorbenen Lebensgefährten betrachtet, dann mischen sich
bei ihr Wut und Trauer. Der Malermeister Hans-Peter F. (63) war im September
2003 gerade ein Jahr in Rente, sie wollten ihr Leben gemeinsam genießen, als
das Unfassbare geschah: „Meinem Partner ging es nicht gut, wir dachten an eine
Grippe. Er fror. Und er schwitzte“, erinnert sie sich. „Sein Röntgenbild zeigte
eine Lungenentzündung. Der Arzt verschrieb Antibiotika; schickte ihn aber nicht
ins Krankenhaus. Drei Tage später ging es Hans-Peter dann sehr schlecht.“
Der Notarzt
veranlasste sofort seine Einweisung ins Krankenhaus. Dort wurde er auf der
Intensivstation behandelt und in ein künstliches Koma versetzt. Doch es war zu
spät. Hans-Peter F.’s Organe versagten. Er starb an
einer Blutvergiftung.
Die Gefahr einer
Blutvergiftung (Sepsis) wird von Ärzten und Patienten immer noch unterschätzt.
Trotz intensivmedizinischer Behandlung verläuft diese Infektion bei 40 Prozent
der Patienten tödlich. In Deutschland sterben jährlich etwa 80 000 Menschen
daran. „Damit ist die Sepsis als Todesursache genauso häufig wie der
Herzinfarkt“, erklärt Professor Konrad Reinhart (56), Vorsitzender der
deutschen Sepsis-Gesellschaft und Direktor der Klinik für Anästhesiologie und
Intensivmedizin der Uni-Klinik in Jena.
Eine Blutvergiftung
kann als Komplikation bei allen Infektionskrankheiten auftreten – häufigster
Auslöser ist eine Lungenentzündung gefolgt von Entzündungen im Bauchraum und
Harnwegsinfekten. „Aber schon ein
vereiterter Zahn kann ein Grund sein“, so Professor Reinhart.
Auch Loki Schmidt
(85), Gattin von Alt-Kanzler Helmut Schmidt, erlitt im Juli eine Blutvergiftung
nach einem Harnwegsinfekt und musste ins Krankenhaus. Schauspieler Hans Clarin
(74) hatte vor drei Jahren nach einer Stimmbandoperation eine schwere
Blutvergiftung, musste mehrere Wochen im künstlichen Koma beatmet werden.
Bei der Sepsis
schafft es der Körper nicht, Krankheitserreger bereits am Infektionsherd zu
bekämpfen. Folge: sie beginnen zu wandern. Ihre Gifte lösen Entzündungen im
ganzen Körper aus, eine fatale Kettenreaktion beginnt. Wird nicht sofort
eingegriffen, kommt es zu einem septischen Schock: der Kreislauf bricht
zusammen, Nieren, Lunge und Leber versagen. „Ähnlich wie bei der Behandlung
eines Herzinfarkts zählt jede Minute“, so Professor Reinhart.
Eine Sepsis muss im
Krankenhaus behandelt werden. Die Entzündung wird mit hochdosierten
Antibiotika bekämpft, und der Entzündungsherd – wenn möglich – entfernt. Wenn
bereits Organe in Mitleidenschaft gezogen sind, brauchen die Patienten die
Intensivmedizin: - künstliche Beatmung, Blutwäsche, Flüssigkeitsausgleich,
Blutkonserven -, bis die Antibiotika-Therapie greift
und Kreislauf und Sauerstoffversorgung wiederhergestellt sind.
Das Problem: häufig
wird die Sepsis nicht rechtzeitig erkannt, weil die Warnzeichen auch auf andere
Erkrankungen hindeuten können. Bei der Blutvergiftung wird der Körper nicht
mehr mit ausreichend Sauerstoff versorgt, und es zeigen sich folgende Symptome:
-
der Betroffene
ist verwirrt,
-
der Pulsschlag
misst über 100 Schläge in der Minute,
-
die Atmung
wird schwerer,
-
die Atmung
wird schneller,
-
der Blutdruck
sinkt,
-
der Betroffene
fühlt sich schwer krank.
„Wer während eines
Infekts diese Symptome aufweist, sollte sofort den Notarzt rufen“, betont
Professor Reinhart.
Ulf Erfurt (40)
hatte das Glück, dass die behandelnden Ärzte im Jenaer Universitätsklinikum
richtig reagierten. Im April dieses Jahres war er mit Unterbauchschmerzen ins
Krankenhaus eingewiesen worden: Zwerchfelldurchbruch. Nach einer Notoperation
verschlechterten sich seine Blutwerte, und mit jedem Tag fühlte er sich
elender. Die Ärzte stellten auch bei ihm eine Sepsis fest. Ulf Erfurt lag 15
Tage im künstlichen Koma. Aber seine Organe arbeiteten weiter. „Jetzt geht es
mir langsam wieder besser“, sagt er vier Monate später. Und Professor Reinhart
macht ihm Mut: „Auch wenn die Krankheit sehr schwer verläuft, die meisten
Patienten können sich wieder vollständig erholen“.
Service Gesundheit BILD am SONNTAG, 29. August 2004