Amalgamschädigung amtlich
Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main
65 Js 17084.4/91
Frankfurt, den 31.05.1996
VERFÜGUNG
Das Ermittlungsverfahren gegen
1. Gerd Schulte,
2. Dr. Manfred Müller,
3. Prof. Dr. Klaus Dermann,
wegen Körperverletzung im Zusammenhang mit der Herstellung
und dem Vertrieb von Zahnfüllstoffen (insbesondere: Amalgam) wird gemäß § 153 a
Strafprozeßordnung mit Zustimmung des Gerichts von
der Erhebung der öffentlichen Klage vorläufig abgesehen, sofern binnen eines
Monats
1. der
Beschuldigte Schulte 100.000,00 DM an die Gerichtskasse
(Konto PSA Ffm,
7017-600; BLZ 500 100 60),
2. der
Beschuldigte Dr. Müller 100.000,00 DM an die Gerichtskasse,
3. der
Beschuldigte Prof. Dr. Dermann 50.000,00 DM an die
städtische
Galerie Liebighaus in Frankfurt am Main
(Konto Postbank Ffm 2 - 609;
BLZ 500 100 60) und 50.000,00 DM an den
Verein der Freunde des
Museums für moderne Kunst in Frankfurt am
Main (Konto Schröder,
Münchmeyer, Hengst und Co Ffm, 62 649 900, BLZ 502 200 85) zahlen.
Gründe:
Grundlage des Verfahrens sind die Strafanzeigen von circa
1500 Privatpersonen. Die Anzeigeerstatter machen geltend, durch Zahnfüllstoffe,
insbesondere Amalgam, wie sie auch von der Firma Degussa hergestellt werden, in
ihrer Gesundheit geschädigt worden zu sein. Bei den drei Beschuldigten handelt
es sich um Mitarbeiter der Firma Degussa, die an verantwortlicher Stelle im
Zahnfüllstoffbereich tätig sind. Nach den durchgeführten Ermittlungen steht
fest, daß Zahnamalgam auch bei bestimmungsgemäßem
Gebrauch generell geeignet ist, in einer relevanten Anzahl von Fällen die
Gesundheit von Amalgamträgern zu schädigen (sogenannte
generelle Kausalität). Zunächst ist davon auszugehen, daß
die Amalgambestandteile nicht in den Plomben fixiert sind, sondern als einzelne
Schwermetalle, insbesondere Quecksilber, in den Körper gelangen. Dies geschieht
teilweise über den Magen - Darmbereich nach verschlucken
von kontaminiertem Speichel oder über die Atmung, zumal Quecksilber aus den
Plomben in die Mundluft diffundiert. Weitere
Aufnahmewege sind denkbar. Ein Teil der Schwermetalle wird wieder
ausgeschieden, ein anderer in bestimmten, sogenannten
Zielorganen, wie vor allem Niere, Leber und Hirn, gespeichert. Das dort
fixierte Quecksilber läßt sich teilweise über Gelatbildner wieder mobilisieren oder bleibt bei einer
Halbwertzeit von zwanzig Jahren praktisch dort gebunden (Hirn).
Diese grundsätzlichen Fakten sind heute im wesentlichen unstreitig und zum Teil seit den 30er Jahren
bekannt. Ebenso unstreitig ist, daß es sich bei
Quecksilber um ein toxisches Schwermetall handelt. Im Vordergrund des
medizinischen Interesses muß dabei die inhalative Aufnahme stehen, zumal Gifte, die, über die
Atmung aufgenommen werden, unmittelbar, d.h. ohne zunächst einer vorläufigen
Entgiftung zugeführt zu werden, ins Hirn gelangen. Die Frage, welche Mengen an
Quecksilber sich aus Plomben lösen können und wie hoch der Anteil des
kurzfristig wieder ausgeschiedenen, bzw. des gespeicherten Quecksilbers ist,
spielt im vorliegenden Verfahren keine entscheidende Rolle, zumal nicht geklärt
ist, ob es eine unbedenkliche Aufnahmemenge gibt, bzw. ob es Quecksilbermengen
gib, die von niemanden mehr vertragen werden. Erwähnenswert ist allerdings in
diesem Zusammenhang, daß das Quecksilber -
Mundluftkonzentrationen (für die Entwicklung einer entsprechenden, leicht
anwendbaren Meßmethode wurde kürzlich die baden-württembergische Schülerin
Sandra Zenk im Rahmen des Wettbewerbs "Jugend
forscht" ausgezeichnet), die im Schnitt bei fünf Mikrogramm pro Kubikmeter
Luft liegen, in etwa den Pentachlorphenol-Konzentrationen
entsprechen, die in mit Holzschutzmitteln behandelten Räumen gemessen werden.
Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens mußte nun die
Frage beantwortet werden, ob die Aufnahme von Quecksilber aus Plomben
grundsätzlich gefahrengeneigt ist, oder ob sie, wie
dies der überwältigende Teil der Schulmedizin heute noch behauptet, auch bei
ungünstigstem Ablauf völlig unbedenklich ist. Die Klärung dieser Frage - das
haben die Ermittlungen gezeigt - ist auch deswegen schwierig, weil es eine
toxikologische "Zauberformel" in diesem Zusammenhang nicht gibt und
es sich bei den geltend gemachten Beschwerden um sogenannte
Allgemeinbeschwerden handelt, welche häufig vorkommen und über
unterschiedlichste Ursachen auslösbar sind. Ob eine Auswertung der
toxikologischen Literatur zum Thema Amalgam die Frage der generellen Kausalität
schon ausreichend beantwortet, kann dahinstehen. Allerdings bleibt
festzuhalten, daß sich - wie das von der
Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Gutachten der Universität Kiel in
eindrucksvoller Weise gezeigt hat - unter den mehr als 10.000 einschlägigen
Abhandlungen sich eine Vielzahl von Arbeiten befindet, die teilweise sehr
konkret die Gefährlichkeit von Amalgam beschreiben bzw. vor dessen Verwendung
warnen. Amalgam - soviel steht nach den Recherchen der Gutachter fest, - war zu
keinem Zeitpunkt toxikologisch unbedenklich.
Im Gegenteil:
Es gab viele Belege für seine Schädlichkeit. Das ist in der
allgemeinen Amalgam-Diskussion regelmäßig unerwähnt geblieben.
Der Nachweis der generellen Kausalität kann auf andere Art
und Weise geführt werden:
Die Vernehmung einer Reihe von niedergelassenen praktischen
Ärzten, sowie Zahnärzten, die sich schwerpunktmäßig mit Amalgampatienten
befassen, hat ergeben, daß sich bei konkreter
Untersuchung der möglichen Zusammenhänge bzw. bei sorgfältigem Eingehen auf
entsprechend geäußerter Beschwerden bereits nach einigen Monaten in den
fraglichen Praxen ein beachtliches Patientenkollektiv herausgebildet hatte,
welches als möglicherweise "amalgamgeschädigt"
eingestuft werden konnte. Nach wenigen Jahren verfügten die betreffenden Ärzte
regelmäßig über mehr als tausend solcher Patienten. Darüber hinaus stellten die
Ärzte bei ihren "Amalgampatienten" eine in der Regel typische Symptomenvielfalt mit individuell feststellbarer
Ausrichtung in den psychiatrischen Bereich fest. Das heißt, in der Symptomenvielfalt konnte von Fall zu Fall ein gewisses
Muster erkannt werden. Schließlich ließen sich diese Beschwerden nach Sanierung
der Zähne (= Entfernung der Amalgamplomben unter Beachtung bestimmter Regeln)
und Durchführung einer Schwermetall-Entgiftung (Gabe eines Gelatbildners
o. ä.) ganz oder teilweise wieder beseitigen. Dabei war auffällig, daß die entsprechende Heilungsquote in sämtlichen
einschlägigen Praxen etwa 80 % des Gesamtkollektives betrug.
Dies ist insbesondere deswegen bemerkenswert, weil diese
Erfolge jeweils unabhängig voneinander erreicht wurden. Innerhalb der
betreffenden Patientenkollektive waren folgende Besonderheiten festzustellen:
In aller Regel entwickelten sich die Beschwerden der
Patienten parallel mit der Zunahme der Amalgamplomben, also schleichend. Einen
plötzlichen Beschwerdebeginn bzw. Beschwerdeschub gab es regelmäßig dann, wenn
in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine größere Zahl Plomben eingesetzt
bzw. erneuert wurde. Eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation
stellte sich oft dann ein, wenn unsachgemäß saniert wurde, das heißt
beispielsweise, die Amalgamplomben ohne Legung eines Kofferdamms herausgebohrt
wurden. Die Beschwerdeintensität war auch abhängig von der Qualität der
gelegten Plomben, je nachdem, ob eine Unterfütterung und eine Politur
vorgenommen worden waren oder nicht, das heißt, je nach Abgabemenge toxischer Quecksilberionen waren die Symptome stärker oder schwächer
ausgeprägt. Keinerlei Bedeutung hatte im vorliegenden Zusammenhang das Phänomen
des sogenannten Placebo-Effekts. Dieser Frage war
zunächst einmal deswegen nachzugehen, weil entsprechende Zusammenhänge zum Teil
auch von durchaus kompetenten Medizinern behauptet wurden und werden.
Hierzu wurden folgende Feststellungen getroffen:
Einbildungseffekte sind in der Toxikologie bzw. Medizin
bekannt. Wer sich irrtümlicherweise einer Noxe
ausgesetzt sieht, reagiert - vor allem unter dem Gefühl der Angst -
möglicherweise mit den Beschwerden, die der betreffenden Noxe
zugeschrieben werden. Entsprechendes gilt für den Fall der Beseitigung der Noxe; dann verschwinden die Beschwerden. Placeboeffekte -
das war hier von entscheidender Bedeutung - haben aber immer nur eine eine zeitlich begrenzte Lebensdauer und sie treffen auch
nur für einen begrenzten Personenkreis zu. Das massenhafte und dauerhafte
Beschwerdevorbringen von Betroffenen innerhalb des Amalgamproblems läßt sich daher über Einbildungseffekte nicht erklären.
Dazu kommt, daß man sich eine Reihe gesundheitlicher
Probleme nur schwer "einbilden" kann. Das Phänomen der
Schwangerschaft nach Zahnsanierung nach vorhergehendem unerfülltem Kinderwunsch
zählt beispielsweise hierzu. Diese Beobachtungen sind im Übrigen von der
Universitäts-Frauenklinik in Heidelberg eingehend untersucht und als Folge
toxischer Einflüsse bzw. deren Beendigung verifiziert worden. Von
herausragender Bedeutung im Rahmen der Ermittlungen zur generellen Kausalität
bzw. zur Relevanz oder Irrelevanz von Placeboeffekten waren die bei dem
sachverständigen Zeugen Dr. Neuenhausen gewonnenen Erkenntnisse. Dr.
Neuenhausen hat zu Protokoll gegeben, daß er als
praktizierender Zahnarzt gezielt Patienten mit Biss-Anomalien behandelt hat,
weil er davon ausging, daß diese Anomalien zu
Verspannungen der Rückenmuskulatur führen. Im Rahmen dieser Behandlung hat er bei
den betreffenden Patienten eine Bisskorrektur vorgenommen. Da als Ursache für
die Anomalien unter anderem falsch modellierte
Zahnplomben in Frage kamen, wurden zunächst sämtliche Füllungen entfernt und
durch unbedenkliche Provisorien ersetzt. Dieser Zustand dauerte dann regelmäßig
einige Wochen an, weil zwischenzeitlich die endgültigen Zahnfüllungen gefertigt
werden mußten. Aus eigenem Antrieb berichteten nun
viele Patienten dem Zeugen von der Besserung ihres Gesundheitszustandes - über
die Beschwerden der Muskelverspannung hinaus - nach Entfernung ihrer Plomben.
Dr. Neuenhausen maß diesen Äußerungen zunächst keine Bedeutung bei, weil er von
der grundsätzlichen Unbedenklichkeit sämtlicher Zahnfüllungen bzw.
Zahnfüllstoffen ausging. Erst allmählich, nachdem sich entsprechende
Patientenberichte gehäuft hatten, sei ihm der Verdacht gekommen, daß die Beschwerden seiner Patienten ursächlich mit den
Zahnfüllstoffen zutun gehabt hätten. Daraufhin habe er sich gezielt dem Problem
zugewandt und bei systematischer Untersuchung und Erfassung seiner Patienten
die bereits vorgenannten auffälligen Zusammenhänge zwischen gesundheitlichen
Beschwerden und Amalgamplomben (entsprechendes gelte für Palladium)
festgestellt. Zuvor habe er von dem Amalgamproblem praktisch keine Kenntnis
gehabt, entsprechendes gelte zudem auch für seine damaligen Patienten. Dieser
Fall macht in besonderer Weise deutlich, daß das
"Amalgamproblem" offensichtlich nichts mit Einbildungseffekten zu tun
hat. Nach alledem steht fest: Von Amalgamplomben geht offenbar eine nicht
unerhebliche Gefahr für die menschliche Gesundheit aus. Amalgam kann krank
machen, das heißt, Amalgam ist generell geeignet, gesundheitliche Beschwerden
bei einer relevanten Anzahl von Amalgamträgern auszulösen. Darüber hinaus findet
sich unter den ca. 1500 bei den Akten befindlichen Einzelanzeigen eine
ausreichende Zahl von hinreichend belegten individuellen Schadensfällen, so daß auch vom Vorliegen einer konkreten Kausalität
auszugehen ist, ohne daß hier verbindliche
Feststellungen im Einzelfall getroffen werden mußten.
Die Amalgamhersteller trifft auch ein Verschulden. Hierzu haben die
Ermittlungen folgendes ergeben: In der einschlägigen toxikologischen Literatur
existieren - wie bereits zuvor schon erwähnt - von Anfang an, das heißt seit
über einem halben Jahrhundert, eine Vielzahl amalgam-kritischer Stimmen.
Das Gutachten der Universität Kiel konkretisiert diesen
Umstand wie folgt:
a. Bereits sehr früh
war der physikalisch-chemische Wirkmechanismus der
Amalgam-Bestandteile im Körper ebenso bekannt wie die Aufnahmewege
(insbesondere: inhalativ), sowie die Tatsache der Anreicherung in
diversen
Zielorganen.
b. Ebenso herrschte
schon früh Klarheit darüber, daß Menschen
unterschiedlich
empfindlich gegenüber Amalgam sind, das heißt, daß
von
einer allgemein
gültigen Dosis-Wirkungsbeziehung nicht auszugehen ist.
c. Bereits 1930 wurde der Tatbestand der hohen Dunkelziffer
in
Zusammenhang mit
Amalgam angesprochen, also die Tatsache, daß
wegen der
verdeckten Zusammenhänge nur wenige
Amalgam-Schadensfälle bekannt werden konnten.
Dies ist deswegen
relevant, weil sich auch hier die Beschuldigten auf die
nur geringe Zahl
der beim Bundegesundheitsamt gemeldeten
Schadensfälle
berufen.
d. Innerhalb der letzten Jahrzehnte beschreibt eine Vielzahl
von
Wissenschaftlern
das chronische Amalgam-Vergiftungsbild als ein buntes
Beschwerdemuster
mit neurologisch-psychiatrischen Schwerpunkten. Dabei
werden auch
einzelne konkrete Fälle geschildert, die sehr eindringlich die
Zusammenhänge offenlegen.
Ein Zitat aus dem
Jahre 1928 von Stock (Chemisches Institut der
Technischen
Hochschule Karlsruhe) soll hier wörtlich wiedergegeben
werden, weil es die
Zusammenhänge auf besondere Weise erhellt und die
Parallelen zum
neuzeitlichen Anzeigeverhalten deutlich macht:
"Auch ich
habe von Zahnärzten eine ganze Reihe von Fällen erfahren und
einige auch
selbst beobachten können, in denen die gewöhnlichen
Erscheinungen der schleichenden
Quecksilbervergiftungen nach
Beseitigen von
Edelamalgamfüllungen glatt verschwanden. Die Patienten
wurden
Mattigkeit, Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, von denen sie früher
gequält waren,
völlig los und fühlten sich - dieser Ausdruck fiel wiederholt
- wie neugeboren.
Prof. Dr. E. in
Karlsruhe, Mitte der Dreißiger, gesund und frisch, ließ sich
1921 einige
technisch vorzügliche Edelamalgamfüllungen legen, neben
kleineren eine
große Krone. Er teilte mir Mitte Juni 1927 mit: Seit mehr
als zwei Jahren
litt ich ständig an Kopfschmerzen, unbehaglichem
besonders bei
raschen Bewegungen oder Treppensteigen an einem
Gefühl der
Unsicherheit. Wie wiederholt durch meinen Arzt festgestellt,
waren diese
Symptome auf keinerlei organische Befunde zurückzuführen
und zunächst als
Neurasthenie gedeutet. Im November 1926 habe ich
mich entschlossen,
sämtliche Amalgamfüllungen durch Goldfüllungen
ersetzen zu
lassen. Trotz vorsichtiger Entfernung der Füllungen habe ich
an den beiden
Tagen alle diese geschilderten Symptome in potenziertem
Maße empfunden.
Dann hat sich das Allgemeinbefinden, Kopfschmerzen
u.s.w., allmählich gebessert, und seit etwa drei Monaten
fühle ich mich
wieder ganz
frisch. So ist es bis heute geblieben."
e. Aus dem Kieler Amalgamgutachten ergibt sich zudem, daß sich bereits
1955 ein
maßgeblicher Mitarbeiter der Firma Degussa mit der
Amalgamproblematik
beschäftigt und ganz konkret vor den Nachteilen
und Gefahren
dieses Zahnwerkstoffes gewarnt hat. Auf der Grundlage
dieser
Erkenntnisse unterliegt es keinem Zweifel, daß die
Verantwortlichen
schon seit
geraumer Zeit (eine konkrete Festlegung ist nicht erforderlich)
die Gefahren von
Amalgam kannten oder zumindest hätten kennen
können. Dies
begründet zumindest den Vorwurf der Fahrlässigkeit. Trotz
offenkundigem
Vorliegens einer schuldhaft verwirklichten
Tatbestandsmäßigkeit
war eine Anklageerhebung verzichtbar.
Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Es kann nicht übersehen werden, daß
Amalgam in Bezug auf seine werkstofflichen Eigenschaften - unter Ausblendung
toxikologischer Gesichtspunkte - große und attraktive Vorteile besitzt. Es ist
billig, leicht zu verarbeiten, dichtet vorzüglich ab und verfügt über eine
lange Haltbarkeit.Dies sind Umstände, die bei
lebensnaher Betrachtung keinesfalls außer Acht gelassen werden dürfen. Zudem
gab und gibt es zum Teil noch ein Ersatzstoffproblem. Das alles war
beispielsweise im Falle der toxischen Holzschutzmittel anders. Die Anwendung
der entsprechenden Lasuren im Wohninnenbereich war
mangels Gefährdung des Holzes völlig überflüssig, die entsprechenden Mittel
hätten problemlos durch giftfreie ersetzt werden können. Die Staatsanwaltschaft
mußte in ihrem eigenen Interesse auch
berücksichtigen, daß nach Erfahrungen mit
vergleichbaren Fällen eine ntsprechende
Hauptverhandlung lang dauern würde und wegen der zweifellos vorhandenen Schwierigkeit,
komplexe Zusammenhänge offenzulegen, mit einem
gewissen Prozeßrisiko behaftet sein würde. Von großer
Bedeutung ist die Tatsache, daß sich die Firma
Degussa bereit erklärt hat, mit dem Betrag von 1,2 Mio. DM ein
Amalgam-Forschungsprojekt zu initiieren, das möglicherweise zentrale
medizinische Fragen einer Lösung näher bringt, insbesondere im Hinblick auf die
Entwicklung alternativer Füllstoffe. Die Amalgamproblematik wird ganz
wesentlich gekennzeichnet durch eine über die Jahre hindurch verfestigte und
mittlerweile offenbar unverrückbare Position der Schulmedizin. Auch heute noch
hört man grundsätzlich die alten Standpunkte von der völligen Unbedenklichkeit
des idealen Werkstoffes Amalgam. Naturheilkundlich
orientierte Ärzte kommen gleichzeitig zu völlig anderen Ergebnissen und
gewinnen auf Grund entsprechender Heilerfolge an Boden. Wenn man nun davon
ausgeht, daß sicherlich auch die Schulmedizin auf dem
Amalgamsektor nicht nur Untaugliches produziert, dann muß
es im vorliegenden Fall entscheidend darauf ankommen, die beiden Disziplinen in
einer an dem Patientenwohl orientierten Weise zu "versöhnen". Das
Hochschulprojekt "Münchner Modell" bietet sich hier als ein
potentiell wichtiger Adressat an. Dort betreiben alternativ orientierte
Mediziner die Integration von Naturheilverfahren in Forschung und Lehre. Dabei
geht es in der Tat um die Kombination und Koordination der positiven Methoden
der zuvorgenannten beiden unterschiedlichen
Richtungen. Die Befassung des "Münchner Modells" mit der Amalgamproblematik
eröffnet konkret die Chance, in absehbarer Zeit über eine verbindliche
Bewertung des Giftpotentials von Amalgam zu verfügen, welche auf Grund ihres
methodischen Zustandekommens über eine breite gesellschaftliche wie fachinterne
Akzeptanz verfügt. Gleiches gilt für die entsprechenden Fragen zur Diagnose und
Therapie amalgambedingter Gesundheitsschäden, sowie
für die Frage der Ersatzfüllstoffe. In Anbetracht der großen Zahl potentiell
geschädigter Amalgamträger und des Fehlens konkreter Handlungsanleitungen für
ein relativ verunsichertes Patientenkollektiv besteht für die in Auftrag
gegebene Forschungsarbeit des "Münchner Modells" dringender
Handlungsbedarf. Insofern kann davon ausgegangen werden, daß
die Leistung der Firma Degussa - inkl. 300.000 DM an die Staatskasse bzw. an
gemeinnützige Einrichtungen - geeignet ist, das öffentliche Interesse an der
Strafverfolgung zu beseitigen. An den nunmehr ermöglichten Forschungsarbeiten
und ihren Ergebnissen dürfte die Öffentlichkeit und vor allem die Betroffenen
ein größeres Interesse haben als an einem möglicherweise jahrelangen Prozeß mit ungewissem Ausgang. Das Einverständnis der Firma
Degussa mit der betreffenden Regelung signalisiert im übrigen ein Abgehen von
einer Haltung, wie sie bei anderen Unternehmen durchaus noch üblich ist, und
die sich dadurch auszeichnet, daß man ohne Rücksicht
auf Geschädigte und Aspekte des Gemeinwohls allein um die Durchsetzung eigener
finanzieller Interessen bemüht ist. Diese Haltung der Firma Degussa war
anzuerkennen.
Abschließend soll noch auf Folgendes hingewiesen werden:
Auf der Grundlage des gegenwärtigen Wissensstandes bzgl.
Amalgam ist es nach Auffassung der Staatsanwaltschaft unbedingt erforderlich, daß die Firmen, die weiterhin Amalgam herstellen und
vertreiben - die Firma Degussa ist nach eigenen Angaben aus der Amalgamproduktion
ausgestiegen - ihre Kunden - beispielsweise über Beipackzettel - deutlich und unmißverständlich auf die Gefährlichkeit von Amalgam
hinweisen. Zahnärzte haben unter Berücksichtigung des gegenwärtigen
Kenntnisstandes bzgl. Amalgam in jedem Fall die
Einwilligung ihrer Patienten zu der Amalgamanwendung einzuholen. Eine
rechtswirksame Einwilligung setzt voraus, daß der
Arzt seine Patienten vor der Behandlung umfassend und gründlich über das
Amalgamrisiko aufklärt. Wer abwiegelt oder verharmlost kommt seiner
Informationspflicht nicht nach und setzt sich dem Risiko rechtlicher
Konsequenzen aus. Dabei wird davon ausgegangen, daß
zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor allem eine quantitative Abschätzung der
Amalgamgefahr noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit möglich ist.
Sollte sich aber beispielsweise nach Beendigung der
entsprechenden Untersuchungen durch das "Münchener Modell" diese
Gefahr in der Tendenz, wie von der Tübinger Studie vorgezeichnet darstellen,
kommt ein strafrechtliches Totalverbot für Amalgam in Frage.
Bereits heute muß dieses Verbot im
Rahmen der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
festgesetzten Einschränkungen, sowie in all den Fällen, in denen Patienten
bereits toxisch geschädigt oder entsprechend disponiert sind, gelten. Wer
zukünftig auf entsprechend gestaltete Beipackzettel oder ausreichende
Patienteninformation glaubt verzichten zu können, haftet auch strafrechtlich
als Hersteller bzw. als Arzt für amalgambedingte Gesundheitsschäden seiner
Kunden bzw. Patienten. Darüber hinaus steht die strafrechtliche Haftung auch
der Kassen zur Diskussion, soweit diese beim gegenwärtigen Wissensstand zum
Thema Amalgam eine amalgamfreie Versorgung der Patienten verhindern.
Dr. Schöndorf
Staatsanwalt