1977 Alkoholvergiftung durch das Gegengift Physostigmin erfolgreich bekämpft

Ich vergab einige Doktorarbeiten zur Untersuchung, wie Physostigmin bei der verzögerten Narkose wirkt. Am Wochenende war immer einer der Doktoranten im Haus und wartete auf Vergiftungen, die mit Physostigmin behandelt werden konnte. Es waren viele.

Ein junges Mädchen wurde tief bewusstlos, zyanotisch am Isarhochufer aufgefunden und gebracht. Da in ihrer Handtasche leere Packungen von einigen hundert Psychopharmaka steckten und das klinische Bild dazu passte, gingen wir von einer schweren Vergiftung mit tricyclischen Antidepressiva aus und dokumentierten alles ganz exakt. Blut- und Urinspiegel vor, während und nach der Spritze von Physostigmin erfolgten.

Binnen drei Minuten nach der Spritze erwachte die Patientin noch während der Magenspülung. Nirgends fand sich ein Medikament.

Nur der Blutalkohol lag etwas über 4 Promille.

Die Patientin war Medikamentensüchtig und wollte wegen Nachschubschwierigkeiten Selbstmord begehen.

Sofort war uns allen klar, dass die schwere Alkoholvergiftung eben auch ein „Anticholinerges Symptom“ ist, also wie eine Atropinvergiftung zu behandeln ist.

Mehrere hundert Male hat sich dies in aller Welt bestätigt.

Während ein schlafender Betrunkener oft sehr viel angenehmer ist als ein tobender Alkoholiker stellten wir jedoch bei den ersten Patienten, die mit Physostigmin aus ihrem bedrohlichen Rausch geholt worden waren, fest, dass diese vorher stets beim gewaltsamen Aufhören ihres Alkoholexzesses (z.B. nach Sturz von der Leiter und Knochenbrüchen) stets ein Alkoholentzugsdelir bekommen hatten, nur nicht nach Physostigmin.

Damit war das Prophylaktikum des Alkoholentzugsdelirs entdeckt.

Mittlerweile ist dies bei Ärzten völlig wieder in Vergessenheit geraten, weil jeder Arzt angewidert von Alkoholikern ist, sich keiner dafür interessiert.

Für Selbsthilfegruppen ist das zu hohe Medizin. Jeder empfindet heute ein Entzugsdelir als heilsamen Schock. Nun ja.

Brauereien verdienen gerne viel von Alkoholikern, aber zur Hilfe sind sie keineswegs bereit. Sonst gäbe es Heimfahrtdienste, kostenlose, vom Oktoberfest!